Die Lust am Reichtum des Privaten

Was heißt schon nebensächlich? Wieso unbedeutend? In Zeiten der Massenproduktion kommt es auf die feine différence gerade an: Über Sinn und Unsinn des Accessoires sinnierte  ■ Marilina Kolvenbach

Ein Serviettenring ist ein Serviettenring ist ein Serviettenring – ist ein Accessoire. Sie sind identitätsstiftend und staatstragend oder revolutionär, sie beseelen den Raum und vernichten ihn, sind Fetisch und Trostobjekt, und sie sind deswegen so essentiell weil völlig überflüssig – Accessoires. Diesem Wort steht sein französischer Klang so wunderbar, weil es selber genau dieses atmosphärisch überladene Zuviel meint: ein nebensächliches, unwesentliches Zubehör, dem heute soviel Bedeutung zukommt. Ob die rote Schwalbe am Alessi-Flötenkessel, das neongelbe Herz an der Klobürste, das Tigerfell im Mambo-Taxi des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar; in den Zeiten der Massenproduktion bürgt nur noch das Accessoire für die différence.

Diesem Aufstieg geht der Rückzug ins Private voraus. Mit dem Schwinden des Politischen und des öffentlichen Raums (auch den haben wir uns ins Haus geholt und in ein Möbel gesperrt: Radio, Fernseher) wird das Domizil zum Universum. Das Subjekt ordnet sein Selbst in den Gegenständen, die es umgeben. Sag mir, wie deine Lampe aussieht, und ich sage dir, wer du bist. Nur noch das räumliche Selbstporträt bleibt uns selbst noch überlassen – und damit dem Zufall oder den Marktstrategen. Die haben nämlich erkannt, daß ein Extra mehr ist als die reine Erfüllung irgendwelcher Nutzwerte.

Gesiegt hat die Mode. Was die Postmoderne zunächst für die Architektur bedeutete, zeichnete sich auch im Möbel- und Objektbereich Anfang der achtziger Jahre als neue Design-Ära ab. Ein Meilenstein dieser Entwicklung war die Gründung des italienischen Designstudios Alchimia 1976 in Mailand. Seine Idee war es, „ein nicht existierendes Objekt zu materialisieren“ und zu „machen, was andere nicht für machbar halten“. Alessandro Mendini schrieb 1985 in seinem Alchimia Manifest: „Das Motiv liegt nicht in der praktischen Durchführbarkeit; die Schönheit eines Objektes liegt in der Liebe und der magischen Kraft, mit der es gestaltet wurde, und in der ihm innewohnenden Seele.“

Alchimia glaubt, daß die Menschen heute in einem Zustand der Unruhe und der Unausgeglichenheit leben. Vor allem das Detail charakterisiert das Leben. Organisatorische, menschliche, industrielle, politische und kulturelle Fragmente.

In diesem Umfeld des neuen radikalen Designs entstanden die Accessoires von Alberto Alessi oder Ettore Sottsass. Was bei Alchimia auf der Grundlage eines künstlerischen Manifests entwickelt wurde, fand seine Marktreife in den Produkten der Gruppe „Memphis“. Wohnaccessoires und Möbel, die ihren Gebrauchswert endgültig dem Design der neuen Kreativitätswelle geopfert haben. So lange hat es gebraucht, bis die Marktwirtschaft die Pop-art verstanden hat. Nachdem die Fertigprodukte aus den Supermarktregalen in den Museen landeten, werden nun die Museumsobjekte als Massenanfertigung auf ihren neuen Distributionsweg gebracht: Ein neuer Marktzweig ist geschaffen, Accessoiresläden schießen wie Pilze aus dem Boden.

Im Kampf zwischen Form und Funktion wird ein Wohn-Accessoire garantiert zum haßgeliebten Streitobjekt: das Sitzmöbel. Vom „Einkaufswagenstuhl“ bis zum „Mr. President“-Sessel des französischen Stardesigners Phillipe Starck – die Zeiten der trivialen Einrichtungsgegenstände sind vorbei. Hier werden „Persönlichkeiten“ geboten. Seine Lampe „Ara“ wird Starck „eine kleine Person“ nennen, das zum Leben erweckte Objekt. Zum Gegenstand kommt dann der Name. Es wird nicht einfach gekauft und schon gar nicht ein Teppich, sondern „zuerst wählen sie ihren Typ“, zum Beispiel „Smögen“. Selbst Ikea funktioniert in dieser Rhetorik der neuen Objekte. Wohnaccessoires und Möbel werden zu Sinnträgern. Und der mittels solcher Objekte gestaltete Raum zum theatralischen Ereignis, oder, wie der Genfer Kunsthistorikerin Daghild Bartels berichtet wurde, „auf der Herrentoilette wird Pinkeln zur Performance“. Es ist die Lust am Reichtum des Privaten angesichts der schwindenden Umwelten.

Die bewußt unfunktionalen Exzesse des Designs der achtziger Jahre sind heute längst abgelöst von einer sentimentalen Rückbesinnung auf die alten Werte. Alle konkurrierenden Wohnaccessoiresphilosophien sind dabei völlig austauschbar. Magazin, Habitat oder Manufactum, ihre Abgrenzung von Avantgarde-Accessoires ist Teil des modischen Spiels. Statt Edelstahl jetzt Mosaikmuster von der afrikanischen Mittelmeerküste, Stickereien auf Tischdecken und Teller aus Ton. Das neue Zauberwort heißt nicht mehr „Design“, sondern „Ambiente“.

Doch allen Accessoires bleibt eines gemeinsam: Nicht das Objekt, sondern der Mehrwert wird verkauft, zur orange leuchtenden Vase „Das Lachen, ein Nachmittag“ (Habitat). Wir wollen uns nicht mehr einrichten, sondern zu den „uns täglich umgebenden Dingen noch eine freundschaftliche Beziehung entwickeln“.

Im real existierenden Weihnachtstaumel wird das etwa so aussehen: Wir werden wieder viele neue Freunde bekommen. Neue schwankende Kerzenständer, leuchtendes Besteck, singende Lampen oder irgendeinen anderen Kram aus einem dieser Lifestyle- Läden mit ewig pochender Technomusik, und wenn uns dann der Weihnachtsbraten hochkommt, sind wir glücklich darüber, auf gelochten Alessi-Tellern erbrechen zu dürfen.