Ehrung für die türkischen „Samstags-Frauen“

■ Jede Woche demonstrieren sie gegen „Verschwindenlassen“ und Folter

Istanbul (taz) – Morgen wird in Berlin die Carl-von-Ossietzky-Medaille der „Internationalen Liga für Menschenrechte“ an die türkischen „Samstags-Frauen“ verliehen. Jeden Samstag versammeln sich Menschen – vorwiegend Frauen – vor dem Galatasaray-Lyzeum im Herzen von Istanbul, um gegen das „Verschwindenlassen“ Oppositioneller zu protestieren. Die Initiative, die sich die argentinischen „Mütter der Plaza de Mayo“ zum Vorbild genommen hat, existiert seit dem Mai vergangenen Jahres. Zwischen 100 und 500 Menschen nehmen jeden Samstag mittag an dem stillen Protest teil – längst ist die Aktion, die stets von mehreren Hundertschaften Polizei verfolgt wird, eine institutionelle Manifestation gegen das Unrechtsregime geworden.

Seit dem Militärputsch 1980 gehören systematische Folter auf Polizeiwachen sowie politische Prozesse, die Kritiker mundtot machen sollen, zum türkischen Alltag. Das systematische Verschwindenlassen dagegen ist eine neuere Entwicklung. Erst seit die Türkei einigen internationalen Menschenrechtskonventionen beitrat, standen neue innertürkische Rechtsnormen der ungehemmten Repression im Wege. Das „Verschwindenlassen“, bei welchem unmittelbare staatliche Verantwortung schwer nachweisbar ist, schafft Abhilfe. Man macht sich keine Mühe mit Prozessen und Folterfällen, die irgendwann vor den europäischen Menschenrechts-Gerichtshof kommen.

Viele der Familienangehörigen von „Verschwundenen“ waren so starken polizeilichen Repressalien ausgesetzt, daß sie sich anfänglich kaum trauten, öffentlich aufzutreten. Die Familie des „verschwundenen“ Hasan Ocak bildete schließlich den Anfang des Samstags-Protestes. Die Familie Ocaks – Vater, Mutter, Geschwister – rannten alle Türen ein. Es war zu offensichtlich, daß die Polizei ihn festgenommen hatte. Ocaks Leichnam wurde schließlich gefunden – seit dieser Zeit haben sich immer mehr Familienangehörige dem Samstags-Protest angeschlossen.

Im Sommer diesen Jahres, als in Istanbul die UN-Habitat-Konferenz tagte, ging die Polizei plötzlich gewaltsam auf die Frauen los, die sich am Samstag wie üblich auf den Boden gesetzt hatten und Fotos Verschwundener in ihren Händen hielten. In der nächsten Woche waren die Frauen wieder da, um rote Nelken auf das Pflaster zu legen. Mit Schlagstöcken ging daraufhin die Polizei gegen alle vor, die Nelken bei sich hatten. Immer wieder sendeten die privaten Fernsehsender Bilder, wie alte Frauen wegen einer Nelke zusammengeprügelt werden. Die Samstags-Frauen erfuhren eine breite Unterstützung. Sezen Aksu, die bekannteste türkische Popsängerin, komponierte eigens ein Lied für die „Samstags- Mütter“. Schließlich lenkte der Staat ein, der damalige Innenminister Mehmet Agar kündigte gar eine „Überraschung“ an. Die „Überraschung“ war, daß die Samstags-Frauen seither nicht mehr verprügelt werden. Ömer Erzeren