■ Wer keinen Weinberg hat, kann sich ja in Bier versuchen
: Einmaischen im Windeltopf

Drei Dinge sollte ein Mann jemals getan haben, um rechtschaffen von seinem Leben Zeugnis ablegen zu können, hieß es früher. Das eine ist ein Bier selbst zu brauen, die anderen beiden Dinge habe ich jetzt grad nicht parat. Der Ursprung dieses Brauchs läßt sich unverweilt bis in graue Germanenzeit verfolgen. Wenn nämlich die Frau des Hausherrn, niedergestreckt von den häuslichen Verrichtungen, endgültig zum Siechtum neigte, dann mußte der Hausherr mitunter einen Sud selber ansetzen, bis hausfraulicher Ersatz geschaffen war.

Heutzutage ist das Selberbrauen heterodox motiviert, beispielsweise weil die Leute gern aus reiner Langeweile wieder fleißig sein wollen oder den Jean Pütz in sich entdeckt haben. Geschwind sind auch Ratgeber in Buchform und Händler zur Stelle, die Sie in Ihrem Drang bestärken, das Reich der ungenießbaren Getränke um einige Liter zu vergrößern. Die Freunde sparen schon mal auf einen Blindenhund, die Ratgeber hinwiederum nicht mit Prahlereien: 50.000 Exemplare will etwa der Stocker-Verlag von seiner Broschüre abgesetzt haben.

Zum Brauen benötigen Sie Leitungswasser, Bierhefe, Hopfen und Malz (siehe hierzu Gelbe Seiten Ihres Telefonbuches). Das Malz – zirka 7 kg auf 25 Liter Endprodukt – zerkleinern (schroten) Sie in der Kaffeemühle, bis sich das Plastikgehäuse zielstrebig von selbst verkohlt. Anschließend maischen Sie im vom Nachbarn geborgten 20-Liter-Windeltopf ein (vorher gut ausspülen), womöglich in einer mit „eng“ nur entfernt realistisch beschriebenen Stehkombüse. Sie schleppen dieses Monstrum von Topf – drin blubbert bedrohlich eine haferflockenbreiähnliche Pampe – zirka 1.000mal zwischen Bad und Küchenzeile hin und her, um durch Mischen verschiedener Anteile dieser Suppe bestimmte Zwischentemperaturen zu erzielen. Einen viehisch galoppierenden Kreuzschaden handeln Sie sich gratis ein. Dann 90 Minuten kochen und die Hopfenkrümel unterheben.

Schließlich glauben Sie in Ihrer Babybadewanne das einzig geeignete Gefäß zur Gärung einer exzeptionell übelriechenden, nicht minder zähen Plempe gefunden zu haben. Aufsässige Nachbarn entziehen Ihnen dafür ihre Gunst, weil sie vermuten, Sie hätten eine Fischbüchse aus dem Pleistozän geöffnet. Es braucht auch nicht viel Unachtsamkeit, und Ihr Wirken gleitet still in Experimente auf dem Gebiet der wilden Gärungen ab. Darauf kann sich allenfalls Ihr Ausguß freuen, oder Sie selbst, falls Sie grad suizidal disponiert sind. Sonst Blindenhund. Klappt es trotzdem nach drei Monaten kalter Reifung im Keller – hier empfiehlt sich der Winter –, werden Sie die Früchte Ihrer Mühen schmecken und neuartige sensorische Sensationen erleben. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, daß Ihre Zunge an kulturhistorisch determinierte, recht eng gesteckte Grenzen des geschmacklichen Wohlempfindens stößt.

Die einschlägige Literatur behauptet das Gegenteil, daher ist ihr pädagogisch-didaktischer bzw. demagogisch-dialektischer, um nicht zu sagen demonstrativ-paläontologischer Wert alles andere als unumstritten. Unterlassen Sie also das Selberbrauen und suchen Sie lieber eine fränkische Familienbrauerei auf, da wird man Ihnen bei einem Faß Bier den Kipf wieder geraderücken. Michael Rudolf

Hlatky/Reil: „Bierbrauen für jedermann“. Stocker-Verlag, 1995

Klawunn/Grunau: „Bier selbst gebraut“. Verlag Karin Schulz, 1994

Krause: „Bierbrauen“. Südwest- Verlag, 1995

Vogel: „Bier aus eigenem Keller“. Verlag Eugen Ulmer, 1993