„Wir werden keine Ruhe geben“

■ In der Provinzhauptstadt Novi Sad wird täglich demonstriert. Nur auf dem Land hat Serbiens Präsident noch Anhänger

Novi Sad (taz) – Mißtrauisch blickt die Wirtin auf den ausländischen Gast. Das Café-Restaurant liegt an einem Abzweig der Autobahn Zagreb-Belgrad, an der Straße nach Novi Sad. Umgeben von weiten Feldern aus fruchtbarer Erde, wie sie für diese nördlichste Provinz Serbiens, die Vojvodina, typisch ist, hat die Familie ein ansehnliches Anwesen aufgebaut.

„Nein, wir interessieren uns nicht für Politik“, sagt die Frau abweisend und gibt keine Antwort auf die Frage, was sie von den Demonstrationen gegen Präsident Slobodan Milošević hält. Seit in der letzten Woche in den staatlichen Medien vor der Aktivität ausländischer Journalisten gewarnt worden ist, halten sich die Bewohner auf dem Lande zurück.

Die Vojvodina ist die Kornkammer Serbiens. Seit die Zuckerrüben Ende November geerntet wurden, ruht jetzt die Arbeit in der Landwirtschaft. Einst war in der Vojvodina die Bevölkerung gemischt. Mit der nationalen Welle Ende der 80er Jahre und dem Krieg in Kroatien und Bosnien haben aber viele Ungarn und Kroaten das Land verlassen. So ist die Mehrheit heute serbisch.

Auch in den umliegenden Dörfern sind die Menschen freundlich, aber vorsichtig. Über Politik zu reden sei nicht ratsam, bedeutet ein alter Mann, ein Ungar, wie er immerhin zu erkennen gibt. Nur eine Nachbarin, die den Eingang ihres einstöckigen Hauses säubert, gibt einen Kommentar ab. Sie unterstütze den serbischen Präsidenten. „Milošević ist für den Frieden“, sagt sie, „Vuk Drašković und seine Anhänger wollen den Krieg. Der redet und redet und hat selbst nicht mal Kinder“. Sie deutet in die Richtung hin zur bosnischen Grenze. „So viele Flüchtlinge sind jetzt hier. Was wir brauchen ist Arbeit, Sicherheit und Ruhe.“

Auf dem flachen Lande habe Milošević nach wie vor seine Wähler, bestätigt Dragan P., ein Journalist des Radios in Novi Sad, der Hauptstadt der Provinz. Zwar hätte die Opposition seit den letzten Wahlen auch auf dem Land Fuß gefaßt, und die Autonomisten hätten gerade dort eine große Anhängerschaft. In der Industriestadt Novi Sad jedoch sei die Opposition in der absoluten Mehrheit, sie habe hier ihre stärkste Bastion in ganz Serbien. „Hier haben die Leute keine Angst, ihre Meinung auszudrücken, Einschüchterungen wirken nicht.“ Bei den Kommunalwahlen habe die oppositionelle Liste „Zajedno“ 37 Sitze im Stadtparlament errungen, während die Milošević-Partei nur sechs Sitze besetzen konnte. Auch die Rechtsradikalen unter dem Tschetnik- Führer Vojislav Seselj mit 12 und die regionalen Autonomisten mit 15 hätten hier ein besseres Ergebnis als Milošević geholt.

In den Straßen von Novi Sad herrscht abendlich reges Treiben. Der Abendspaziergang bringt Tausende auf die Straße. „Dies ist jetzt keine Demonstration“, lacht Jana, eine 20jährige Studentin. „Wir Studenten demonstrieren hier täglich um die Mittagszeit, jetzt aber wollen wir uns vergnügen.“ Cafés und Bars sind im Zentrum der 300.000 Einwohner zählenden Stadt voll besetzt, ein Rätsel, wie sich dies die Leute mit einem Durchschnittslohn von 200 bis 300 Mark leisten können. Der 30jährige Brenbo M. und seine Freunde feiern in einer Bar die Hochzeit eines Freundes. Bier und Wein fließen reichlich. Der 30jährige Computerfachmann behält dennoch einen kühlen Kopf. Ihn wurmt, daß er mit dem Krieg und den Sanktionen soviel an Lebenschancen verloren hat. „Ich habe eine eigene Firma gegründet und entwickele Software.“ Die Regierung habe Serbien in die Isolation geführt, er habe Schwierigkeiten, Visa zu erhalten, könne nicht ins Ausland, um seine Geschäftsverbindungen zu erweitern. „Das Blatt muß gewendet werden, wir müssen wieder Anschluß an Europa haben.“

Die Männer diskutieren lebhaft über Politik. Sie streiten über die Führer der Opposition und kritisieren sie heftig. Milan S. hält keinen für charismatisch genug, „um den Durchbruch zu schaffen“. Andere widersprechen und meinen, die Bevölkerung selbst müßte die Wende erzwingen. Petar K. wird sich als Busfahrer an den Streiks beteiligen, die für die nächste Woche ausgerufen sind. „Wir müssen Milošević aus dem Amt treiben.“ Alle sind sich darin einig, daß es bis dahin in Serbien und vor allem in der Vojvodina „keine Ruhe mehr geben wird“. Erich Rathfelder