Gauweiler in Niedersachsen

Gerhard Schröder hat seiner ehemaligen Anwaltskanzlei über Jahre hinweg mehr Gewinne entnommen, als ihm zustanden. Das Geld will er nicht zurückzahlen. Jetzt wird er verklagt  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Kompromißvorschläge seiner drei Gläubiger hat der höchst prominente Schuldner über Jahre hin zurückgewiesen. „Der Beklagte erklärte stets, nichts zurückzahlen zu wollen und zu können“, heißt es in dem Schriftsatz an das Landgericht Hannover, den der Rechtsanwalt Godehard Schreiber vergangene Woche für die drei Gläubiger – von Beruf ebenfalls Rechtsanwälte – verfaßt hat. Und der prominente, weder zahlungswillige noch zahlungsfähige Schuldner, um dessen Soll es in dem Rechtsstreit vor dem Landgericht geht, ist ebenfalls Anwalt – zumindestens ein gelernter. Es ist Gerhard Schröder.

Den niedersächsischen Ministerpräsidenten, dessen Name immer noch auf dem Schild der Hannoveraner Kanzlei „Buschmann, Kater, Rischmüller-Pörtner, Schröder“ steht, haben seine drei Anwaltssoziusse auf Zahlung von genau 68.996 Mark und 44 Pfennig verklagt. Der Ministerpräsident hat diese Schulden schon in der ersten Hälfte der achtziger Jahre aufgehäuft – durch überhöhte Gewinnentnahmen. Und ein Jahrzehnt lang hat er sich dann erfolgreich um die Rückzahlung gedrückt.

Die drei Schriftsätze, die in dem Streit um Schröders Altschulden inzwischen beim Landgericht Hannover eingegangen sind, machen außerdem klar: Schröder hat in der Kanzlei in Hannover zehn Jahre lang sozusagen „gegauweilert“. Einen ihm vertraglich zustehenden Zehn-Prozent-Anteil am Kanzleigewinn, der sich insgesamt auf etwa 250.000 Mark belief, hat er nach Auffassung seiner Soziusse zwischen 1980 und 1990 praktisch für Nichtstun kassiert – ähnlich dem ehemaligen Münchner CSU- Chef Peter Gauweiler. Dem an Schröder ausgeschütteten Gewinn habe „in den zehn Jahren so gut wie kein wirtschaftlicher Beitrag“ zur Kanzlei gegenübergestanden, sagen seine Kanzleikollegen.

Die Anwaltspraxis am Wedekindplatz in Hannover wurde 1978 von Gerhard Schröder mit gegründet. Doch schon als der ehemalige Juso-Vorsitzende 1980 erstmals in den Bundestag einzog, stellten die übrigen Kanzleimitglieder, Dietrich Buschmann, Klaus-Dieter Kater und Hela Rischmüller-Pörtner, den Jungpolitker von jeder Pflicht zur Anwaltstätigkeit frei, garantierten ihm aber per Vertrag weiterhin zehn Prozent am Sozietätsgewinn. Den Rechtsanwalt kehrte der Jungpolitiker damals nur noch heraus, wenn dies seiner politischen Karriere förderlich war: wenn etwa befreundete Journalisten Scherereien mit der Polizei hatten oder wenn ein Mandant eine Schlagzeile oder einen Fernsehauftritt garantierte, wie die Verteidigung des späteren saarländischen Umweltministers Jo Leinen nach einer Brokdorf-Demonstration.

Ausgezahlt haben sich diese Auftritte des politischen Anwalts Schröder für seine Kanzlei allerdings keineswegs. „Seine anwaltlichen Tätigkeiten waren ohne nennenswerte Honorareinkünfte“, schreiben die Schröder-Soziusse. Wie etwa im Falle Jo Leinen verzichtetete der Anwalt-Politiker bei seinen seltenen Ausflügen in seinen alten Beruf oft auf jedes Honorar. Selbst Schröders Rechtsanwalt Götz-Werner von Fromberg räumt das ein.

Mit Geld allerdings konnte Gerhard Schröder schon in der ersten Hälfte der achtziger Jahre schlecht umgehen. Sein Finanzbedarf wurde durch seine Diäten als Bundestagsabgeordneter und seinen leicht verdienten zehnprozentigen Gewinnanteil aus der Kanzlei – letzterer betrug pro Jahr rund 25.000 Mark – keineswegs abgedeckt. Durch überhöhte Gewinnentnahmen über die zehn Prozent hinaus überzog Schröder sein sogenanntes „Kapitalkonto“ bei der Anwaltskanzlei Jahr für Jahr – von 1980 bis 1985.

Ab 1986 trug Schröder dann auf Drängen seiner Soziusse seine Schulden ein Stück weit ab und entnahm weniger als die ihm zugestandenen zehn Prozent am Kanzleigewinn. Diese Art des Abstotterns hatte allerdings ein Ende, als der SPD-Politker 1990 zum Ministerpräsidenten gewählt und sein Anteil am Kanzleigewinn auf null gesetzt wurde. Als Ministerpräsident durfte er keinerlei Einkünfte mehr aus Anwalttätigkeiten beziehen. Über Schröders Schuldenstand und die Rückzahlungsmodalitäten begann nun ein Tauziehen, das sich über Jahre hinzog. Der Ministerpräsident bot an, irgendwann einmal nach Ende seiner Politikerlaufbahn durch unbezahlte Anwaltstätigkeit in der Kanzlei seine Schulden abzutragen.

Seine Soziusse bezifferten Schröders Altschulden, die aus den überhöhten Gewinnentnahmen resultierten, zunächst auf weit über 100.000 Mark. Sie wollten die Miesen auf dem kanzleiinternen Kapitalkonto aber mit fünf Prozent verzinst sehen, weil sie bei der Bank zehn Jahre lang Überziehungszinsen hatten zahlen müssen. Schröder machte dagegen geltend, daß in der Verzinsungsklausel des Sozietätsvertrages das Wort „jährlich“ fehle. Er wollte sich also nicht für jedes Schuldenjahr, sondern nur einmalig fünf Prozent Zinsen zurechnen lassen. Schröders Kanzleikollegen verzichteten daraufhin auf jährliche Schuldzinsen. Am Ende einigten sich beide Parteien im Frühjahr 1996 auf einen Schuldenstand Schröders von knapp 70.000 Mark – auf genau jenes Geld, das die drei Soziusse jetzt vor dem Landgericht einklagen.

Zahlen will der Ministerpräsident nämlich immer noch nicht. Inzwischen hat er zum 31.12. 1996 den Sozietätsvertrag gekündigt und verlangt nun in dem Rechtsstreit vor dem Landgericht eine Abfindung für sein Ausscheiden aus der Kanzlei. Die will er mit seinen Schulden aufgerechnet sehen. Eine solche Abfindung, die bei Rechtsanwälten, die einem Nachfolger einen Mandantenstamm übergeben, durchaus üblich ist, schließt aber der Vertrag der Schröderschen Sozietät ausdrücklich aus. Der Vertrag sieht bei einer Kündigung nur die Mitnahme der Mandate (bei Schröder keine) und während der einjährigen Kündigungsfrist ein Weiterlaufen der Einkünfte (seit 1990 bei Schröder null) vor. Die Klageerwiderung des Schröder-Anwalts stellt nun ausgerechnet jenen Sozietätsvertrag als „auslegungsbedürftig“ und „sittenwidrig“ dar, der dem Ministerpräsidenten jahrelang ein ordentliches Zubrot ohne Gegenleistung garantiert hat.

Nach Ansicht seiner Soziusse hat Schröder den Kanzleivertrag zielgerichtet gekündigt, „um durch einen langwierigen Prozeß die Zahlung erneut hinauszuschieben“. Da Schröder schon lange keinerlei Mandantenbezüge mehr habe, verliere er mit seinem Ausscheiden aus der Kanzlei auch keinen wirtschaftlichen Wert, meinen die Soziusse. Mit seiner Forderung nach einer Abfindung verlange der Ministerpräsident „einen Beteiligungswert, zu dem er praktisch nichts beigetragen hat“.