Unfreiwillig interessant

■ Müllers wurden per Zufall so gut wie Amerikaner: "Go West", 22.30Uhr, WDR

Wäschespinne, Satellitenschüssel, vertäfelte Dachschräge, Vierfachlocher, Kartoffelbrot — wie vielerorts hat das Durchschnittsdeutschland auch in Frömmersbach im Bergischen Land ein Zuhause. Dagmar und Christoph Müller sind Frömmersbacher.

Zwar haben sie in der jährlichen GreenCard-Lotterie eines der begehrten, inzwischen pinkfarbenen Plastikkärtchen der US-amerikanischen Einwanderungsbehörde gewonnen und sich stante pede von Frömmersbach, NRW, nach Dallas, Texas, aus dem Staub gemacht — aber davon einmal abgesehen sind sie durch und durch durchschnittlich.

Als Zuschauer wünschte man sich daher in den ersten Minuten der WDR-Dokumentation „Go West“ noch, die Filmemacher Sigrid Finken-Sprickmann und Tom Buhrow hätten es mit einem etwas kantigeren, eigenwilligeren Gegenüber zu tun bekommen — und nicht ausgerechnet mit den Frömmersbacher Müllers, die sich bloß paßgenau in die ohnehin ziemlich konventionelle Arbeit der beiden Dokumentaristen einfügen.

Aber im Gegensatz zum Zuschauer ist es dem Zufall egal, wohin es ihn verschlägt. Und wenn es nun einmal die Müllers sein sollen, die so ganz ohne Notwendigkeit nach Amerika auswandern, dann können die Dokumentarfilmer trotzdem aufs „Rec“-Knöpfchen drücken und uns im Anschluß vorführen, was bei den Müllers in Dallas nun anders ist als in Frömmersbach: Dosenobst ist süßer, das Brot pappig, der Kunde König, Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Nationalstolz treten offener zutage, und Dagmar arbeitet (statt in einem freikirchlichen Buchladen) in einer freikirchlichen Schule, Christoph (statt in einer Firma für Autozubehör) in einer Firma für Autozubehör. Außerdem hat er sich einen Bart stehen lassen.

Ganz so einfach aber ist das mit der Durchschnittlichkeit dann doch wieder nicht. Denn so wie „Die Fußbroichs“, jene inzwischen legendäre Kölsche Durchschnittsfamilien-Saga, vor allem durch unfreiwillige Komik überzeugt, ist der Einblick in Dagmars und Christophs Alltag und Ansichten, wenn man so will, unfreiwillig interessant. Schließlich sehen wir, daß aus den Frömmersbacher Durchschnittsdeutschen innerhalb weniger Monate respektable average Americans geworden sind. Einwanderungsland Amerika, in deinem Tiegel schmilzt es wie eh und je!

Und so ist aus dem American Dream der Müllers inzwischen ein California Dreaming geworden; Seeblick soll es haben, das Häuschen an der West Coast, und im Garten schaut man alsdann verträumt auf einen Süßwasserteich, statt bloß zufrieden auf die Wäschespinne.

PS: Eigene formlose Anträge schicken wir wie gewohnt zwischen dem 3.Februar und dem 4.März an: DV-97 Programme, National Visa Center, Portsmouth, N.H. 00212, USA. Christoph Schultheis