Mordpläne von oben

Die türkische Exregierungschefin Çiller soll die Ermordung des PKK-Chefs Öcalan bestellt haben  ■ Von Ömer Erzeren

Istanbul (taz) – Die ehemalige türkische Ministerpräsidentin und jetzige Außenministerin Tansu Çiller wollte PKK-Chef Abdullah Öcalan ermorden lassen. Das meldet jedenfalls die Tageszeitung Yeni Yüzyil in ihrer gestrigen Ausgabe. Demnach ist dem türkischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan ein Bericht zugänglich gemacht worden, wonach Çiller dem polizeilich wegen mehrfachen Mordes gesuchten Attentäter Abdullah Catli Mittel aus dem staatlichen Geheimfonds zur Verfügung stellte, um Öcalan in Syrien zu ermorden. Die logistische Unterstützung der Operation habe in den Händen des kurdischen Stammesführers Sedat Bucak gelegen. Auch der damalige Polizeipräsident Mehmet Agar, der später Innenminister wurde, sei davon informiert worden.

Vorgesehener Termin für den Mord: Dezember vergangenen Jahres, mitten im Wahlkampf. Mit den Worten „Jede Stimme für mich ist eine Kugel gegen die PKK“ hatte Çiller ihre Wähler mobilisiert – und sich von der Nachricht von Öcalans Tod einen Popularitätsaufschwung versprochen. Erst auf Intervention des türkischen Generalstabs und des Geheimdienstes sei die Operation im letzten Augenblick gestoppt worden, schreibt Yeni Yüzyil.

Der Bericht reiht sich in die lange Folge von Enthüllungen über die enge Verflechtung von Politikern mit Kriminellen, über die seit jenem Verkehrsunfall vor einem Monat die ganze Türkei spricht. Der Attentäter Catli, der Polizeifunktionär Hüseyin Kocadag und der kurdische Stammesführer und Abgeordnete in Çillers „Partei des rechten Weges“, Sedat Bucak, hatten im gleichen Wagen gesessen, als dieser verunglückte. Catli und Kocadag starben, Bucak überlebte.

Seither steht Çiller im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Eine kriminelle Organisation, die sich aus ehemaligen Mitgliedern der faschistischen Grauen Wölfe zusammensetzte und beste Beziehungen zu Politikern und Polizeiapparat unterhielt, „liquidierte“ nicht nur Oppositionelle, sondern ebenso Konkurrenten im Heroingeschäft und bei den Spielcasinos.

Heftige Fraktionskämpfe innerhalb des Staatsapparates haben offenbar einen Teil des Militär-, Polizei- und Geheimdienstapparats dazu gebracht auszupacken, um Çiller zu kompromittieren. Nicht ohne Risiko: Vergangene Woche wurde der Istanbuler Polizeichef Kemal Yazicioglu von Innenministerin Meral Aksener – einer treuen Anhängerin Çillers – seines Amtes enthoben.

Die Entblößung der schmutzigen Geschäfte Çillers gefährdet zunehmend auch die Koalition mit der islamistischen „Wohlfahrtspartei“ unter Ministerpräsident Erbakan. Noch immer schweigt sich Erbakan aus, um die Koalition nicht zu gefährden. Angesichts der zahlreichen Korruptionsaffären und kriminellen Verwicklungen hat er außerdem in Çiller eine willige Koalitionspartnerin, die um jeden Preis an der Macht bleiben muß, will sie nicht vor den Gerichten enden.

Zunehmend macht sich unter Abgeordneten der Wohlfahrtspartei und der Basis Mißmut breit. Oppositionsführer Mesut Yilmaz machte sogar das Angebot, eine Minderheitenregierung der Wohlfahrtspartei zu unterstützen. Einzige Bedingungen: Aufklärung der kriminellen Machenschaften, die nach dem Verkehrsunfall ans Tageslicht gekommen sind.