Hannover verweigert Flüchtlingen volle Sozialhilfe

■ Auch nach entgegengesetztem Urteil bleibt die Landesregierung bei ihrem Kurs

Hannover (taz) – Schwere Schlappe für die niedersächsische Landesregierung: Das Verwaltungsgericht Hannover veröffentlichte gestern ein Urteil, das einem Flüchtling aus Bosnien den Anspruch auf ungekürzte Sozialhilfe zuerkennt. Das niedersächsische Innenministerium, das erst im vergangenen Monat per Erlaß allen bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen die Sozialleistungen zusammengestrichen hatte, will den in Niedersachsen lebenden Bosniern dennoch die volle Sozialhilfe verweigern.

Ein Sprecher des Innenministeriums in Hannover begründete dies gestern mit einer „uneinheitlichen Rechtsprechung“. Er verwies auf in Hamburg und Mannheim gefällte Urteile, die zuungunsten der Flüchtlinge ausfielen.

Der niedersächsische Flüchtlingsrat wirft dem Innenministerium nun Betrug an den Flüchtlingen aus Bosnien und Vietnam vor. Die Landesregierung unter dem Ministerpräsidenten Gerhard Schröder (SPD) setze offenbar darauf, daß nur wenige der rund 19.000 Bosnier in Niedersachsen ihre Ansprüche auf ungekürzte Sozialahilfe vor Gericht durchsetzen würden, sagte gestern ein Sprecher des Flüchtlingsrates. Inzwischen seien allerdings vor den niedersächsischen Verwaltungsgerichten etwa hundert Klagen von Bosniern auf vollen Sozialhilfesatz und ungekürzte zusätzliche Sozialhilfeleistungen anhängig.

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hatte kürzlich entschieden, daß nur geduldeten Flüchtlingen grundsätzlich ungekürzte Sozialhilfeleistungen zustünden, wenn diese die ihrer Abschiebung entgegenstehenden Hindernisse nicht selbst zu verantworten haben. Allein mit der Begründung, dem Flüchtling sei auch eine freiwillige Ausreise möglich, dürften die Behörden die Sozialhilfeleistungen nicht um 20 Prozent kürzen, urteilten die Lüneburger Richter im Fall eines Vietnamesen. Auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Hannover reicht die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise für eine Kürzung der Sozialhilfeleistungen nicht aus.

Wenn die Abschiebung, wie im Falle der Bosnier, aus humanitären Gründen ausgesetzt werde, könne man dem Flüchtling nicht vorwerfen, daß er nicht freiwillig ausreise, urteilte die Dritte Kammer des Verwaltungsgerichts in Hannover. Selbst zu vertreten habe ein Flüchtling eine aufenthaltsrechtliche Duldung nur, wenn dessen Abschiebung durch Verlust seiner Ausweispapiere verhindert werde.

(Aktenzeichen: OVG Lüneburg 4 M 4027/96, VG Han 3 B 6282/96) Jürgen Voges