Stumpfe macht weiter Klassenkampf

■ Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall will das Streikrecht ändern und fordert „Arbeitskampfersatzmittel“. Die Übernahme der vollen Lohnfortzahlungsregelung kann er nicht mehr verhindern

Berlin (taz) – Kaum hatte Werner Stumpfe, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, zähneknirschend hingenommen, daß in Niedersachsen der Lohn für kranke Metallarbeiter nicht gekürzt wird, marschierte er gestern schnurstracks auf das nächste Reizthema zu: das Streikrecht. Im Deutschlandfunk (DLF) sagte er, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern herrsche „keine Parität mehr“. Um die wiederherzustellen, „müßte man zunächst einmal das Streikrecht ändern. Das darf nicht in der Form, wie es vom Bundesarbeitsgericht entwickelt wurde, weiterpraktiziert werden.“ Stumpfe forderte „Arbeitskampfersatzmittel, die so gut sind, daß wir den Streik als ein Mittel, der den Unternehmen und den Arbeitsplätzen Schaden zufügt, nicht mehr brauchen“.

Kaum gesprochen, brausten die Wellen der Entrüstung. Der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall, Walter Riester, warf Stumpfe den Bruch des Grundgesetzes vor. Im DLF konterte er, die Arbeitgeber wollten mit solchen Äußerungen nur ihre Unfähigkeit übertünchen.

Das Lager der Metall-Arbeitgeber scheint desolat. Am Sonntag abend hatte Gesamtmetall auf einer Sitzung in Hannover die niedersächsische Einigung als Pilotabschluß für andere Tarifregionen abgelehnt. Gleichwohl wisse er, sagte Stumpfe, daß die in Niedersachsen geschaffenen Fakten alle weiteren Verhandlungen präjudizierten. In Hannover hatten Arbeitgeber und Gewerkschaft sich darauf geeinigt, den vollen Lohn bis zum Jahr 2001 festzuschreiben. Stumpfe kritisierte, daß die Kostenbelastung für die Unternehmer im kommenden Jahr durchschnittlich um 1,7 Prozent steigen würde.

Aus dem Arbeitgeberlager in Hannover hieß es gestern, besonders mittelständische Unternehmen seien angesichts der Streikbereitschaft eingeschwenkt. Den Vorschlag, das Streikrecht abzubauen, hatte Stumpfe zuvor wohl nicht abgesprochen. Ein Sprecher des niedersächsischen Verbandes meinte spitz: „Dazu enthalten wir uns eines Kommentares.“ Stumpfe ließ am Nachmittag moderatere Töne nachschieben. Der Gesamtmetall-Chef, so sein Sprecher, habe nur das „Schweizer Friedensabkommen“ im Auge gehabt. Diese Vereinbarung von 1937 sieht vor, daß die Gewerkschaft nicht mehr fordern soll, als im Sinne des gemeinsamen Wohls in der gegebenen Lage verantwortbar ist.

Was immer Werner Stumpfe im Rundfunk hatte sagen wollen, er landete auf einem heißen Stuhl. Die CDU-Sozialausschüsse sehen in den Äußerungen einen „tarifpolitischen Tiefpunkt“, und Gerd Andres, Sozialexperte der SPD, hält ihn für „völlig verrückt“. Guido Westerwelle, FDP-Generalsekretär, fühlt sich gar persönlich enttäuscht. Da hatte die Koalition im September rasch die Kürzung der Lohnfortzahlung auf 80 Prozent verabschiedet, und nun kommen die Unternehmer nicht klar damit. „Die Politik“, murrte Westerwelle, „wird zukünftig reservierter reagieren, wenn bestimmte Tarifparteien etwas fordern.“ Von den Auftraggebern verlassen fühlt sich auch Hans-Peter Repnik, stellvertretender CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender: „Wenn man sieht, wie schnell die Arbeitgeber nachgeben, aber uns Politikern Standvermögen abverlangen, ist das wenig glaubwürdig.“

Mut hingegen schöpfen die Metaller in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen, Berlin und Baden-Württemberg. Dort laufen jetzt die Verhandlungen wieder an. Und im Bankgewerbe wurde gestern eine kleine Einigung erzielt. Die Arbeitgeber haben sich verpflichtet, bis zur nächsten Gesprächsrunde im Januar auf alle Fälle die 100 Prozent zu zahlen. roga/maf