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Klinisch lebendig

■ Auf St. Pauli demonstrierten gestern Tausende gegen die drohende Schließung des Hafenkrankenhauses. Die Entscheidung fällt heute nachmittag Von Julia Kossmann

Es ist eiskalt, fröstelnde Hände wärmen sich an einer Tasse heißer Suppe aus der Krankenhausküche, die an der Pforte verteilt wird. Fäustlinge schließen sich um Besenstiele, an denen Transparente flattern. Fackeln werden angezündet. MitarbeiterInnen des Hafenkrankenhauses, Kinder, Weihnachtsmänner, Kranke, AnwohnerInnen und Sympathisanten aus der ganzen Stadt intonieren zu weihnachtlichen Akkordeonklängen „O Seehofer, o Seehofer, was machst du mit den Kranken?“

PDSler neben Heilsarmeesoldaten, Chirurg neben Rekonvaleszent, Pfarrer neben Model – etwa viertausend Menschen sind gestern dem Aufruf des Personalrats des Hafenkrankenhauses, der ÖTV und der Initiative „Ein Stadtteil steht auf“ gefolgt. Am Tag vor der heutigen Entscheidung des Aufsichtsrats des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) über Zukunft oder Ende des Hafenkrankenhauses zog der Demonstrationszug von der Klinik zum Rathausmarkt, um gegen die Bonner Gesundheitsreform und ihre Folgen zu protestieren: „Schäuble, wo wärst du ohne Reha?“, fragt eine Krankengymnastin auf ihrem Pappschild. Vor allem aber richtet sich der Protest gegen Hamburgs Gesundheitssenatorin Helgrit Fischer-Menzel (SPD) und ihren erklärten Willen, das Hafenkrankenhaus zu schließen – nicht weil es unwirtschaftlich, überflüssig oder medizinisch nicht auf der Höhe wäre, sondern weil die LBK-Verwaltung – auch dank Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) – sparen muß.

Eine Notfallambulanz verspricht die Senatorin vage als künftige medizinische Versorgung im Stadtteil. Solche Pläne beurteilt ein Demonstrant skeptisch: „Wenn die Klinik hier nicht gewesen wären, läg ich jetzt in Ohlsdorf“, sagt der Mann, der kurz nach Ostern auf der Intensivstation des Hafenkrankenhauses nach einem Herzinfarkt behandelt worden war. „Eine Ambulanz ohne Betten wird von den Krankenwagen gar nicht angefahren“, weiß Inge Kreffter aus Erfahrung. Sie ist Personalrätin im AK Barmbek, Mitglied im Aufsichtsrat des LBK und erklärte Gegnerin der Schließung. Auch wirtschaftlich sei das keine Lösung, denn „alle Unfallambulanzen finanzieren sich aus dem Bettenrest, der dahinter steht“. Die Auswirkungen einer ausschließlich ambulanten Lösung in St. Pauli auf die Krankenhäuser in St. Georg und Altona seien nicht absehbar. Ebenso wenig wie der Verlust der zehn Betten in der Intensivmedizin, die derzeit rund um die Uhr aufnahmebereit sind.

Obwohl die Gesundheitssenatorin in einem Vorgespräch zur heutigen Sitzung die 18 Aufsichtsratsmitglieder noch einmal auf ihre Pläne einzuschwören versucht hatte, ist die Riege der GegnerInnen optimistisch: „Wir fordern mindestens ein zweimonatiges Moratorium“, sagt Aufsichtsratsmitglied Katharina Ries-Heidtke vom Gesamtpersonalrat des LBK. Das vorliegende Konzept des Krankenhaus-Direktoriums und der Kassenärztlichen Vereinigung, der Entwurf des Personalrats und nicht zuletzt die von Fischer-Menzel vorgeschlagene Ambulanz ohne Betten müßten in dieser Zeit von externen Experten geprüft werden, um eine fundierte Entscheidung zu ermöglichen. Heute: Entscheidung des LBK im AK Heidberg ab 12 Uhr, Personalrat und Interessierte empfangen die EntscheidungsträgerInnen. 13. 12., 21 Uhr: Soli-Konzert im Stardust, St. Pauli-Museum, Spielbudenplatz. 18.12., 16.30 Uhr: Stadtteildemo ab Hafenkrankenhaus. 21.12.: Soli-Party des Café am Teich, Ahoi und Volxküche, veranstaltet von der Ini „Ein Stadtteil steht auf“, Kontakt: Holger Hanisch, Tel. 4015959 oder 27092484.

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