„Gegen die Verklärung der DDR-Geschichte“

■ Karin Hopfmann, flüchtlingspolitische Sprecherin der PDS-Fraktion, kritisiert die eigene Partei: Schüsse an der Mauer waren Unrecht, Berufung auf Befehlsnotstand ist Feigheit

taz: Im Abgeordnetenhaus streiten Sie für eine humane Flüchtlingspolitik. In Ihrer Partei werden die Schüsse auf Flüchtlinge an der deutsch-deutschen Grenze gerechtfertigt. Ist das nicht ein Widerspruch?

Karin Hopfmann: Ja. Wer sich in der PDS für Menschenrechtsfragen einsetzt, muß den Rücken nicht nur in bezug auf die eigene Biographie frei haben, sondern auch in bezug auf Debatten innerhalb der PDS. Unsere Partei sollte sich konsequent mit Menschenrechtsfragen auseinandersetzen. Allerdings wird das Grenzregime auch innerhalb der PDS nicht so einhellig hofiert, wie es das gegenwärtige Medienbild glauben macht. Die Verurteilung des Bundestagsabgeordneten Manfred Müller durch viele PDS-Mitglieder als „Verräter“ hat auch Widerstände bei anderen erzeugt.

Sehen Sie die Schüsse an der Grenze als Menschenrechtsverletzungen an?

Unbedingt. Ich gehe mit den offiziellen PDS-Auffassungen so weit mit, daß ich die Errichtung des Grenzregimes in den Kontext des Kalten Krieges einordne. Jeder Staat hat das Recht, seine Grenze gegen Angriffe von außen zu schützen. Ich spreche einem Staat – auch der DDR – jedoch das Recht ab, das Grenzregime zu mißbrauchen, um Menschen am Verlassen des Landes zu hindern. Hier muß ich dem Bundestagsabgeordneten Uwe-Jens Heuer widersprechen. Der Kalte Krieg darf nicht zur Rechtfertigung der „Grenzsicherung nach innen“ mißbraucht werden. Vielmehr halte ich es für ein grundlegendes Menschenrecht, frei wählen zu können, wo man leben will. Der Staat hat kein Recht, diese Wahl durch Zwang einzuengen. Spätestens mit der Entspannungspolitik in den 70er Jahren gab es aus meiner Sicht keinen politischen Grund mehr, das Grenzregime aufrechtzuerhalten.

Wie bewerten Sie die Diskussion innerhalb der PDS?

Das Statement des Bundesvorstandes unterstütze ich nur insofern, daß bundesdeutsche Gerichte nicht über Verantwortungsträger der DDR juristisch urteilen dürfen. Dennoch kann ich eine Verklärung dieses Kapitels der DDR- Geschichte nicht gutheißen. Ich vermisse bei den Angeklagten und ihren vielen neuen „Fans“ die Einsicht in eine individuelle Verantwortung, die über ein Bedauern der Grenztoten hinausgeht. Sie versuchen sich mit Argumenten der Fremdbestimmung durch Moskau aus der Verantwortung zu stehlen. Geschichte wurde aber zu allen Zeiten von Menschen gemacht, die einen Kopf zum Denken und so etwas wie Moral und Gewissen haben sollten. Eine Berufung auf Befehlsnotstand ist Feigheit, aber nicht Emanzipation des politisch handelnden Individuums von herrschenden Ideologien.

Zweitens wende ich mich dagegen, daß viele PDS-Mitglieder Politbüro und Grenzgeneräle zu Märtyrern machen. Viele PDS-Mitglieder haben noch nicht die Einsicht gewonnen, daß in der DDR Menschenrechte verletzt wurden und daß es dafür eine individuelle Verantwortung gibt.

Wer sollte urteilen, wenn nicht bundesdeutsche Gerichte?

Wir DDR-Bürger haben es, von Ausnahmen abgesehen, in der Wendezeit versäumt, uns offensiv dieses Problems anzunehmen. Jetzt bleibt mir nur zu sagen, die Öffentlichkeit soll es tun. Ob ein internationaler Gerichtshof darüber entscheiden sollte, ist eine Frage, die Juristen beantworten sollten. Wenn Egon Krenz jedoch nur internationale Gerichte für zuständig hält, halte ich das für heuchlerisch, weil er gleichzeitig ja eine Schuld nicht eingesteht. Interview: Marina Mai