piwik no script img

Gepanzerte Kröten unterm Tannenbaum Von Karl Wegmann

Meine 11jährige Nichte Dihia wünscht sich zu Weihnachten eine Schildkröte – oder das neueste Kelly-Family-Video. Aus ästhetischen Gründen habe ich mich für die gepanzerte Kröte entschieden. Aber woher nehmen? Gar nicht so einfach, denn Dihia will eine reinrassige Griechische Landschildkröte.

Ich frage Willy, denn Willy weiß alles über Tiere: „Ich kenne einen Züchter, der nimmt 300 Mark für eine Griechische Landschildkröte“, sagt er. „Was?“ Ich bin echt schockiert. „Als ich klein war, kosteten die Dinger zwischen 2,50 Mark und 5 Mark, je nach Größe.“ – „Genau“, sagt er, „und das ist einer der Gründe, warum die ,Dinger‘ jetzt auf der Liste der bedrohten Arten stehen. Hier darfst du eine Schildkröte nur besitzen, wenn du nachweisen kannst, daß sie aus einer Zucht stammt.“ „Aber nicht für 300 Flocken, ich heiß' doch nicht Hagenbeck!“

„Beruhige dich“, meint Willy, „ich kenn' noch einen anderen Züchter, der macht's vielleicht billiger.“ Er gibt mir die Telefonnummer, und ich rufe gleich an. Noch bevor ich nach dem Preis fragen kann, kommt eine Gegenfrage: „Für wen soll das Tier sein?“ „Für meine Nichte zu Weihnachten“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Keine Chance“, sagt der Schildkrötenmann, „wir verkaufen nicht für Kinder“, und legt auf. Willy lacht, er hat genau gewußt, was mich erwartet. Ich werde allmählich sauer: „Scheiß Schildkröten, taugen eh zu nix, kriechen nur blöde auf dem Bauch herum und fressen und scheißen. Völlig nutzlose Viecher.“

Das bringt Willy auf die Palme, Beleidigungen und Herabwürdigungen der Fauna kann er absolut nicht vertragen. „Halt die Klappe und hör zu“, bellt er mich an und erzählt: „In den zwanziger Jahren gab es in Amerika eine Serie mysteriöser Morde. Der Killer pflegte seine Opfer zusammen mit ein paar großen Steinen in einen Sack zu stecken und in einem See zu versenken. Selbst wenn die Polizei Anhaltspunkte hatte, in welchem See die Leiche beseitigt worden sein könnte, war sie machtlos. Denn wie sollte man sie auf dem zerklüfteten Boden eines trüben Gewässers je finden? Und ohne Leiche gab es nach dem Gesetz auch keinen Mörder.

Da bot ein älterer Indianer seine Dienste an, machte jedoch zur Bedingung, daß ihm niemand bei der ,Beschwörung des Toten‘ zusehen dürfte. Die Cops waren wirklich verzweifelt und nahmen an. Jedesmal dauerte es kaum länger als ein paar Stunden, bis die alte Rothaut die Leiche gefunden hatte. Die Kriminalisten waren sprachlos. Magie? Indianisches Geheimwissen? Des Rätsels Lösung: Der Indianer besaß eine große Schnappschildkröte, die er mit an den See nahm. Hier befestigte er eine lange Leine an dem Reptil und ließ es von einem Boot aus frei. Nun wartete er eine Weile und brauchte schließlich nur noch der Leine zu folgen, um auf die Schildkröte zu treffen, die auf dem Toten hockte und den genußvoll anknabberte.“

„Tolle Geschichte, richtig gruselig, mach einen Film draus – ,Das Schweigen der Schildkröten‘ oder so, aber was hat das mit meinem Problem zu tun?“ „Rein gar nichts“, antwortet Willy, „aber sie beweist, daß Schildkröten alles andere als ,nutzlose Viecher‘ sind.“ „Is' ja riesig, ich geh' jetzt los und kauf' dieses bekloppte Kelly-Family-Video.“ Willy grunzt zufrieden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen