■ Warum Trinkmilch pünktlich zum Verfallsdatum sauer ist
: Eingebauter Verschleiß

Man könnte glatt vermuten, daß die Milchindustrie neuerdings fiese, genmanipulierte Mikroben einsetzt, deren Wirksamkeit zeitlich exakt programmierbar ist. Der Trinkmilch beigemengt, sorgen sie womöglich dafür, daß diese auf keinen Fall mehr länger haltbar bleibt, als auf der Verpackung angegeben, also schneller verdirbt, als nach unseren bisherigen und langjährigen Erfahrungen mit dem Verfallsdatum zu erwarten.

Das würde übrigens auch erklären, warum wir uns Milch plötzlich nicht mehr auf Vorrat zu kaufen getrauen und also für jeden Liter eigens in den Supermarkt rennen müssen – gleichwohl das andererseits natürlich den Vorteil hat, daß jetzt mehr Raum für Bier im Kühlschrank ist. Außerdem steigert das die Chance, nette Bekanntschaften zu machen und vielleicht sogar den Partner fürs Leben zu finden: Jedes 15. Brautpaar lernt sich nämlich beim Einkauf im Supermarkt kennen, davon 43 Prozent in der Tiefkühl-, 22 Prozent in der Spirituosen- und 9 Prozent in der Tierfutterabteilung. Die restlichen Prozente verteilen sich auf die Wursttheke, das Nudelregal und die Schlange vor der Kasse.

Im übrigen scheint auch die Socken- und Wärmflaschenindustrie verstärkt auf eingebauten Verschleiß zu setzen. Wie sonst läßt sich erklären, daß seit kurzem in Herrensocken und Gummiwärmflaschen bereits nach zirka dreifachem Gebrach irreparable Risse und Löcher prangen und damit die Haushaltskassen durch enorme Strumpfkosten und nicht unerhebliche Aufwendungen für neue Wärmflaschen belastet werden? Früher hielt eine Wärmflasche in der Regel über mehrere Dekaden dicht, wurde nicht selten samt dem Familienschmuck an die Nachgeborenen vererbt und eigentlich nur dann durch eine neue ersetzt, wenn der Verschlußstöpsel hinter die Badewannenverkleidung gerutscht war. Und ganz früher – ältere Leser werden sich erinnern – war nicht einmal das ein Grund, sich eine neue Wärmflasche zu besorgen. Da gab es nämlich noch Stöpselersatzlager, die gut sortiert und in zentraler Lage angesiedelt waren, so daß sich die Bevölkerung hier stets kommod und kostensparend mit Stöpseln und anderen Wärmflaschenersatzteilen versorgen konnte.

Mittlerweile sind ja diese ehemaligen Lager in schmuddelige Sexshops und Lottostuben oder auch kleine, ungemütliche Restaurants umgewandelt worden, in die man ungern einkehren, geschweige denn seine neueste Supermarktbekanntschaft ausführen und beischlafwillig machen möchte. Wie es sowieso an dafür geeigneten Lokalen mangelt. Ein Mißstand, dessen schnelle Beseitigung einen entscheidenden Vorteil mit sich brächte: Je eher es nämlich mit dem gemeinsamen Beischlaf klappt, um so weniger muß man noch einen Gedanken an Wärmflaschen vergeuden. Fritz Tietz