Flagge am Absatz

Die Kultur der diskriminierten Aborigines wird ausgiebig zur Olympia-Vermarktung benutzt  ■ Aus Sydney Enno Hermann

Als die australische Aboriginal- Sprinterin Cathy Freeman bei den Olympischen Spielen in Atlanta als Zweite ins Ziel lief, hatte sie eine schwere Entscheidung zu treffen. Australische Fans boten ihr sowohl die australische als auch die Flagge der australischen Ureinwohner an, um sie für eine Ehrenrunde durchs Stadion zu tragen. Bei den vorherigen Commonwealth-Spielen hatte sie die Flagge der Aborigines gewählt und wurde dafür von manchen Australiern scharf kritisiert, von anderen gelobt. Bei den Olympischen Spielen verbietet das Internationale Olympische Komitee (IOC) das Zurschaustellen von politischen Symbolen. So war es dann wohl die mögliche Aberkennung der Silbermedaille und die damit verbundenen Verluste von Sponsoren, die Cathy Freeman zu der Entscheidung brachten, ihre Ehrenrunde in Atlanta mit der australischen Flagge zu laufen.

Ihre Ausrüsterfirma ermöglichte es Cathy Freeman aber doch, die Flagge der Aborigines zu zeigen – am Absatz der speziell für sie angefertigten Laufschuhe. Die Flagge am Absatz von Cathy Freemans Schuhen ist emblematisch für die Politik, die die australische Regierung derzeit hinsichtlich der nach wie vor stark benachteiligten Ureinwohner verfolgt. Die Diskussion über nationale und kulturelle Identität hat sich verschärft, seit Sydney die Olympischen Spiele im Jahre 2000 zuerkannt bekommen hat. Der mühsame Prozeß der „Aussöhnung“, der von der Labour-Regierung begonnen wurde, ist mit der seit März 1996 regierenden konservativen Liberal Party und ihrer strikten Sparpolitik zu einem abrupten Ende gekommen. Die Finanzierung von Organisationen der Ureinwohner wurde massiv gekürzt, ein Gesetz, das ihnen Landrechte zuerkennt, ist umstritten, und für Aborigines, die vormals als Kinder von ihren Familien in Institutionen zur Umerziehung verschleppt wurden, ist eine Entschädigung ausgeschlossen worden. Als eine unabhängige Parlamentarierin kürzlich von einer „Flut von asiatischen Einwanderern“ und der „Bevorteilung von Aborigines“ sprach und Premierminister John Howard sich nicht rechtzeitig distanzierte, wurden zudem Vorwürfe des offiziell sanktionierten Rassismus laut.

Organisationen der Ureinwohner haben inzwischen gedroht, Australien während der Olympischen Spiele öffentlich an den Pranger zu stellen, falls sich die Situation der Aborigines bis zum Jahre 2000 nicht verbessert hat. Australien ist somit in einer prekären Lage: Ein tolerantes Image ist wichtig für die australische Wirtschaft, die sich immer mehr auf Dienstleistungen und „kulturelle Exporte“ spezialisiert. Gefördert werden multikulturelle Erziehungsprogramme, Universitätsabschlüsse für Studenten aus asiatischen Ländern, Film- und Fernsehproduktion sowie die Kunst der Ureinwohner, die mittlerweile weltweit rund 100 Millionen Dollar pro Jahr umsetzt. Allen voran im Wirtschaftswachstum ist der Tourismus; laut Umfragen sind über die Hälfte der BesucherInnen an der Kultur der Ureinwohner interessiert. Die Olympischen Spiele in Sydney werden als eine gigantische Tourismus-Werbeinitiative genutzt, und ohne Aboriginal-Kultur geht es dabei nicht. Bei der Schlußfeier in Atlanta sah man deshalb eine Tanzgruppe der Aborigines sowie aufblasbare Känguruhs mit Aboriginal-Motiven. Das vor kurzem vorgestellte Logo der Sydney-Olympiade ist eine Komposition aus Bumerangs.

Die Diskrepanz zwischen der Benachteiligung der Aborigines in Australien und der weltweiten Vermarktung ihrer Kultur [mehrfache Ausbeutung trifft's wohl eher als Diskrepanz, d. s-in] ist mittlerweile vielen bewußt geworden. Peter Yu, Vorsitzender des Aboriginal Kimberley Land Council, sagte kürzlich: „Die wollen, daß wir unsere Kultur für die Schlußfeier der Olympiade aus dem Koffer holen, aber sie sind nicht bereit, anzuerkennen, was Kultur tagtäglich bedeutet.“ Charles Perkins, ein prominenter Aktivist der Ureinwohner, hat verlangt, daß ihre Flagge bei den Olympischen Spielen in Sydney aufgezogen wird. Bei der Diskussion darüber, ob Australien rechtzeitig zur Olympiade eine Republik werden soll, haben manche vorgeschlagen, die Flagge der Ureinwohner zur offiziellen Flagge Australiens zu erklären. Es ist anzunehmen, daß manche Aborigines einem solchen Vorschlag skeptisch gegenüberstehen. Wie die Flagge am Absatz von Cathy Freemans Schuhen wäre ihr Symbol der Befreiung dann eine Art australisches Firmenzeichen.