Go on and pay

■ Im Internet ist bisher kein Geld zu verdienen, deshalb baut der Axel Springer Verlag seinen eigenen Onlinedienst auf

Martin Jastorff ist fest davon überzeugt, daß er am besten weiß, was die Leute wirklich brauchen. Er leitet im Axel Springer Verlag das Projekt „Go-On“ und sagt: „Wir wollen die Informationsflut eindämmen.“

Jastorff meint die Informationsflut des Internets, die auch über das Haus Springer hereingebrochen ist. Die eigenen Redaktionen haben durchaus selbst dazu beigetragen. Als eine der ersten überregionalen Zeitungen ging schon im letzten Jahr die Welt mit einer digitalen Ausgabe ins Internet (http:// www.welt.de/). In diesem Jahr folgte das Schlachtroß Bild mit wenig Nachrichten, aber viel „Fun& Action“, wie die Hauptrubrik heißt. Und als hätten sie noch nie etwas von den sittlichen Gefährdungen der Jugend durch das Internet gehört, locken die Webmaster zielsicher mit den „Top 33 der Erotik“ samt „Sexy Klicks“. Netzkonform dachten sie auch an auswärtige Gäste: „Do you want it in English...?“ fragt ein Link zur einer englischsprachigen Seite des größten deutschen Boulevardblattes. Ein „Soccergame“ und eine „Slotmachine“ sollen teutonische Weltläufigkeit vermitteln, doch in der Verlagsleitung war die Begeisterung gering. Man vermißte den richtigen Leserbezug. „Sie können so was einem Leser des Hamburger Abendblattes nicht vermitteln“, sagt Ralf Kogeler, zuständig für die Planung interaktiver Medien. Er vermutet zu Recht, daß sich aber auch die immer noch überdurchschnittlich gebildete Minderheit deutscher Netheads bisher nicht so recht für die typischen Springer- Titel erwärmen mochte.

Seit einem Jahr arbeitet der Verlag an einer Lösung des Problems. Die Antwort heißt „Go-On“ und ist seit dem 30. November unter http://www.go-on .de/ im Internet zu betrachten. Nach dem 31. Dezember allerdings hat die digitale Freizügigkeit ein Ende. Go-On wird für Zaungäste aus dem globalen Datenraum gesperrt. Denn hinter dem Kürzel steht nichts Geringeres als der Versuch, einen geschlossenen, nur für zahlende Mitglieder zugänglichen Onlinedienst aufzubauen.

„Wir müssen den Markt segmentieren“ formuliert Kogeler die Strategie. Denn auch Springer fürchtet, daß die nächste Kundengeneration ins Internet abwandert, das weit mehr verspricht als Regionalzeitungen, Boulevard und ein chronisch defizitäres, konservatives Bildungsblatt.

Doch zu dieser offenen Konkurrenz der Inhalte soll es gar nicht erst kommen. Springer bietet statt dessen einen alternativen Zugang zum Netz an. „Wir wollen Leute gewinnen, die keine Zeit haben, stundenlang zu surfen“, beschreibt Kogeler das, was er als „Zielgruppe“ definiert.

„All business is local“ steht vielsagend ganz am Ende der Programmübersicht, die an die Presse verteilt worden ist. Das ist wörtlich zu verstehen. Die Zielgruppe muß zur Zeit noch in Hamburg oder Berlin wohnen, um in den vollen Genuß des Springernetzes zu kommen, das zunächst in diesen beiden Städten aufgebaut wird. Andere werden folgen – Kogeler nennt Lübeck und Kiel, Städte, in denen der Verlag eine ähnlich beherrschende Stellung auf dem Zeitungsmarkt besitzt wie in Hamburg.

Auf diesem publizistisch gut vorbereiteten Terrain will Go-On mit der Technik des Internets Inhalte anbieten, die strikt auf lokale Bedürfnisse zugeschnitten sind: lokale Informationen, Lokalausgaben der Springer-Titel, Adressen, Veranstaltungstermine, Homebanking und Onlineshopping. Das Hamburger „Einkaufsnetz“ zum Beispiel liefert alles aus dem Standardsortiment eines Lebensmittelmarktes im Hamburger Stadtgebiet aus – noch am selben Tag, wenn die Bestellung online vor 13 Uhr eingegangen ist. Das neue Ladenschlußgesetz dürfte freilich den Reiz des digitalen Einkaufsbummels mindern, und allzu lange darf er auch nicht dauern. Denn er kann teuer werden.

Hinter Go-On steckt ein Koppelgeschäft mit schwer durchschaubaren Lockpreisen. Das sogenannte Startpaket – per Einschreiben an die Postadresse zugesandt – enthält Standardsoftware des Telekom-Onlinedienstes T- Online, den Netscape-Browser und einen Vertrag, wonach für 12,95 Mark Grundgebühr im Monat ein Zugang bei T-Online eingerichtet wird. Im Grundpreis enthalten sind zwei Freistunden Nutzungsdauer, jede weitere Stunde kostet 4,95 Mark. Außer Go-On stehen alle anderen Onlinedienste der Telekom zur Verfügung, auch der Übergang ins Internet.

Überaus „bequem“ findet der Verlag, daß alle Gebühren gleich über die Telefonrechnung abgebucht werden, aber selbst Kogeler gibt zu, daß der Preis nur für treue Springerfans attraktiv ist. Denn Go-On ist auch allen anderen T- Onlinekunden zugänglich, die für bloße Stippvisiten weniger bezahlen müssen: Die T-Online-Grundgebühr kostet 8 Mark im Monat. Zwar wird dann jede Onlineminute mit mindestens 6 Pfennig verrechnet, doch das ist in der Regel günstiger als die 4,95 Mark, die Springer für die kostenpflichtigen Stunden abbuchen läßt.

Richtig teuer wird die Datenreise jedoch, wenn sie aus den Provinzen der Telekom und des Axel Springer Verlags hinausführt. Im Internet summieren sich die Onlinestunden beim sprichwörtlichen weltweiten Warten, die Gebühren, die dann bei Springer und der Telekom auflaufen, können leicht dreistellig werden. Zeitlich unbeschränkter, leistungsfähiger Internetzugang ist heute bei lokalen Providern aber schon für weniger als 50 Mark zu haben.

Kogeler rechnet deshalb nicht damit, daß sich auch nur halbwegs erfahrene Internet-User auf sein Sonderangebot einlassen. Er kann auf sie verzichten, solange sie in die falsche Kasse einzahlen, nämlich in die Kasse von Firmen, die lediglich den Netzzugang vermitteln. Wir aber sind „Content-Provider“ sagt Kogeler. Go-On soll das Geld umlenken. Bisher waren Computernetze nur für schlaue Webegrafiker und Leitungsvermittler. Jetzt aber soll endlich auch etwas für verlegerische Dienstleitungen abfallen: für Information und Unterhaltung. Den weiteren Marschbefehl gab Vorstandschef Jürgen Richter bei der öffentlichen Vorstellung des Go-On-Pakets aus: „Wir gehen sehr offensiv und experimentierfreudig mit den neuen Medien um.“ Eine Woche später wurde eine zehnprozentige Beteiligung am Joint-venture von Bertelsmann und AOL bekanntgegeben. Auch hier, beim Konkurrenten auf dem Printmarkt, will Springer am Einwählknoten sitzen, statt nur Inhalte nachzuliefern, an denen andere verdienen.

Das Geschäft mag den Aktionären einleuchten, die heftig umworbene Kundschaft hat sich bisher nur spärlich eingefunden. „Wir haben einige Abonnenten“, sagt Kogeler, Zahlen könne man nach dieser kurzen Zeit aber nicht nennen. Für eine Erfolgsmeldung reichen sie wohl nicht.

Warnungen vor einem Fiasko kamen aber auch aus dem eigenen Haus. Go-On erinnerte in manchen Zügen fatal an das kläglich gescheiterte Projekt „Europe Online“ des Verlegers Hubert Burda. Die Springer-Redaktionen fürchteten um ihre eigenen Onlineausgaben. Welt und Bild wurden verpflichtet, dem Go-On zuzuarbeiten, auf dessen Homepages sie nur ein Menüpunkt unter vielen sind. Andere, wie die Berliner Morgenpost, arbeiteten Konzepte für eine eigene Onlineausgabe im freien Interent aus. Der Streit endete in einem Kompromiß: Die Morgenpost darf mit einer eigenen Adresse (http://www.berliner- morgenpost.de/) im Internet erreichbar sein, der Kleinanzeigenteil für Immobilien jedoch, der größte in Berlin, wird für Go-On- Abonnenten reserviert.

Auch ihre Internetausgabe durfte die Morgenpost erst zum Starttermin des Go-On-Dienstes veröffentlichen. In diesem Rahmen fiel ihre Eigenständigkeit weniger auf. Überhaupt nicht mehr tragbar aber fand Projektleiter Jastorff den Redakteur, der für die Entwicklung der digitalen Morgenpost zuständig war. Er hatte im Sommer schriftlich dagegen protestiert, daß der Verlag einen eigenen Onlinedienst aufbaut, in dem sehr viel weniger Leser erreichbar sind als im Internet. Nun, der Redakteur, seit beinahe zehn Jahren im Hause Springer beschäftigt, muß seiner Einsicht nicht mehr zuwiderhandeln. Zwei Wochen vor der Eröffnung des Go-On-Dienstes lag ihm die fristlose Kündigung auf dem Tisch. Jastorff hatte im Internet einen Anlaß dafür gefunden: Auf einem privaten Server hatte der Redakteur zwei eigene Webadressen eingerichtet. Unter der einen waren Teile der linksradikalen, von der Bundesanwaltschaft verfolgten Zeitschrift radikal abgespeichert, unter der anderen Bilder aus der pathologischen Abteilung einer Klinik, die er einst als Zivildienstleistender selbst aufgenommen hatte – ein sehr persönlicher Beitrag zum Thema Tod, der mit einem Paßwort vor unliebsamen Besuchen geschützt war.

Ein reiner Zufall sorgte dafür, daß Jastorff über diese privaten Netzbeiträge seines Untergebenen informiert wurde. Erkennbar enthielten die Websites zwar nicht den geringsten Hinweis auf den Beruf oder den Arbeitgeber des Autors. Doch so genau wollte Projektleiter Jastorff das gar nicht wissen, er hatte sein Beweistück für eine Kündigung aus Gründen des Tendenzschutzes in der Hand. Seinen Kritiker war er damit glücklich losgeworden. Und wie sagte er doch kurz danach vor der Presse ganz richtig: „Wir wollen die Informationsflut eindämmen.“

Ein bißchen Schudelkram darf bei der Bild-Zeitung schon dabeisein, aber das Internet geht denn doch zuweit. Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de