Erst die trockenen Brötchen, dann der Absturz

■ Nichts ging mehr: In Altona machte sich die Bahn gestern wieder einmal lächerlich

Bahnreisende überkam gestern in Hamburg-Altona das große Würgen. Erst wurden sie von Bediensteten genötigt, kleine trockene Partybrötchen zu verschlingen, dann wurden sie wieder einmal wegen einer „Betriebsstörung“ gezwungen, auf die S-Bahn umzusteigen. Das ganze wurde im Rahmen der aktuellen Eisenbahnkampagne aufgeführt: „Bekloppte machen Verkehrspolitik.“

Dabei hatten es sich die Schlauberger aus den Management-Abteilungen der Siemens AG und der Bahn AG so schön ausgedacht – eine Geste der Entschuldigung für die Mühen der vergangenen zwei Wochen. Zwischen sechs und neun Uhr wurden den Pendlerströmen Brötchenkörbe entgegengestreckt, die winzige und dröge Partybrötchen enthielten. Die kleine Aufmerksamkeit sei bei den Reisenden ein „hundertprozentiger Erfolg“ gewesen, erklärte ein Mitarbeiter der Bahn-Pressestelle, in der zur Zeit rasender Realitätsverlust anzutreffen ist.

Die „Aufmerksamkeit“ war als Entschuldigung für die Total- und Teilausfälle des Altonaer Bahnhofs (taz berichtete mehrfach) gedacht. Nach der Inbetriebnahme eines hochmodernen zentralen Stellwerkcomputers war der Kopfbahnhof tagelang vom Verkehr abgeschnitten und nur mühselig wieder in Gang gekommen. Die alberne Brötchenaktion fand just in dem Moment statt, in dem die Eisenbahner wieder alles im Lot sahen. War's aber nicht.

Das letzte Brötchen war kaum gemüffelt, als wieder alles zusammenkrachte. Bahnsprecher, die sich seit Wochen in einem anderen Film befinden, teilten der Deutschen Presseagentur mit, es käme zu einigen Verspätungen von etwa 20 Minuten. Und das könne ja mal passieren.

Tatsächlich lief aber für fast vier Stunden überhaupt nichts mehr. Die beliebten Hinweisschilder für die S-Bahnen wurden wieder ausgefahren. Der Verkehr nach Süden wurde über den Hauptbahnhof, der Verkehr nach Norden über Pinneberg abgewickelt. In den S-Bahnen selbst wurde mitgeteilt, daß der Stellwerkcomputer wieder defekt sei. Das gelang nicht allen S-Bahn-Fahrern ohne Häme und wurde in den Waggons nicht ohne Gelächter und Applaus aufgenommen.

Die Heiterkeit anderer Reisender hielt sich in engsten Grenzen. Diejenigen, die sich bei Eintritt der „Betriebsstörung“ kurz vor Altona befanden, waren bis zu 60 Minuten ohne jede vernünftige Auskunft durch das Personal in Eilzügen und InterRegios eingesperrt, die zwischen Eidelstedt und Langenfelde auf die Einfahrt in den Bahnhof warten mußten. Aber sie verpaßten immerhin keine Anschlußzüge, denn die fuhren ja nicht.

Jürgen Oetting