Komatöse Klassenfahrt

Das Roadmovie nach den Zeiten des Rock'n'Roll-Schwindels: Regisseur Bruce McDonald geht mit einer echt unechten Punkband auf Tour  ■ Von Thomas Winkler

Der Weg ist weit, die Straße ist dunkel, das Benzin geht zu Ende, und die Zigaretten sind schon lange aus. Bruce McDonald hat ein ausgeprägtes Verhältnis zu Straßen. Seine ersten beiden Filme „Roadkill“ und „Highway 61“ waren klassische Roadmovies und verrieten das schon im Titel. Darauf folgte der ausschließlich in einer Reservation spielende „Dance Me Outside“. Dort standen Autos zwar meist nur aufgebockt zur Reparatur bereit, aber immer wieder strich die Kamera sehnsüchtig über den bleiern grauen Asphalt, auf dem das Reservat hätte verlassen werden können.

In „Hard Core Logo“ bietet die kleine Reunion-Tournee der titelgebenden kanadischen Punkrockkapelle den Anlaß, vier Typen in einen Kleinbus zu setzen. Diesmal blendet McDonald bekennend ein Armaturenbrett ein, auf dem aber nicht nur Meilen und Benzinverbrauch gemessen werden, sondern ebenso Bierflaschen und Zigaretten. Und wie in allen Roadmovies wird nie angekommen – und wenn, bestenfalls bei sich selbst. Auf endlosen kanadischen Highways, die sich durch Saskatchewan ziehen, geht die eigentlich schon aufgelöste kleine Punkband auf Reisen und durchlebt in mikrokomatöser Klassenfahrtatmosphäre noch einmal die eigene peinlich heroische Geschichte: Erfolg und Scheitern, Vertragen und Streiten, Liebe und Haß. Und das in einem straighten Viervierteltakt, mit kurzen, heftigen Refrains und schlecht getimten Breaks.

Die Protagonisten sind Prototypen. Da ist Sänger Joe Dick, dargestellt von Hugh Dillon, der mit einer eigenen Punkband seine Rolle jahrelang in der Öffentlichkeit probte. Er wirkt mit seinem schwarzgefärbten Irokesen und dem versoffen grimmigen Gesicht wie Bruce Willis, der den Joe Strummer gibt. Die andere Hälfte von Clash, Gitarrist Mick Jones, der sich musikalisch weiterentwickeln will und sich so auch emotional vom Kumpel aus Kindergartenzeiten entfernt, heißt hier Billy Talent. Dem Bassisten sind über die Jahre die Drogen und der Mystizismus nicht gut bekommen, irgendwann sind die Psychopharmaka verschwunden und damit auch die Stabilität seiner Psyche. Der Trommler dagegen ist die proletarische Seele des Betriebs.

Diese Konstellation klingt natürlich ziemlich bekannt. Dick und Talent sind nicht nur Strummer/ Jones, Vicious/Rotten oder Lennon/McCartney, sondern eben auch Jagger/Richards, Bob Mould/ Grant Hart und momentan auch noch ganz aktuell Liam und Noel Gallagher von Oasis (ergänzen sie selbständig!). McDonald läßt Joe Dick in einem speckigen Diner mit der Zigarette wedeln und das Grundproblem zusammenfassen: „Billy will die Models und Limousinen, ich war immer zufrieden mit Nutten und Taxis.“

Irgendwann tut sich ein großes Loch im Bodenblech des Bandbusses auf. Was ein ebenso plattes wie hübsches Bild für den Zustand der Bandstruktur abgibt, aber nicht überfrachtet wirkt, weil sich McDonald eines Tricks bedient. „Hard Core Logo“ ist von der ersten bis zur letzten Einstellung inszeniert wie ein Dokumentarfilm. Backstage-Interviews, Regisseurbeschimpfungen, Auftritte, Befragungen von Fans und Kollegen inklusive. Irgendwann hält Joey Ramone höchstpersönlich sein debiles Grinsen in die Kamera und läßt verlauten, wie klasse er Hard Core Logo, die Band, findet. Im Gegensatz zu anderen Filmen über fiktive Künstler, die als Film funktionieren würden, aber in denen sich zum Beispiel der berühmte Maler dann plötzlich als schrecklicher Kleckser herausstellt, spielt diese Band einen wirklich flotten Punkrock. Von der Gestaltung der Plattencover bis zu den kleinen Gesten innerhalb der Band sind die minimalsten Details stimmig. Und selbst für die Randfiguren lassen sich Entsprechungen in der Historie finden: Joe Dicks ehemaliger Mentor Bucky Haight ist ein konsequent zu Ende gedachter Iggy Pop, der nur in Gesprächen auftauchende Ex-Manager Ed Festus steht für Malcolm McLaren.

Tatsächlich ist die Umsetzung so perfekt, daß der Film in einigen amerikanischen Zeitschriften versehentlich als Dokumentation eingestuft wurde. Die Brüche sind im Film selbst nicht angelegt. Der Humor – und der ist nicht selten – entsteht aus der Logik der Situation selbst und nicht wie im Metal-Gegenstück „Spinal Tap“ aus der kabaretthaften Übertreibung klischeehafter Zustände. Unterstützt wird das Spielchen mit dem Fake (noch so ein Zitat aus den Zeiten des großen Rock'n'Roll-Schwindels) mit einer Internet-Homepage, die gestaltet ist wie viele andere, die Fans von ihren Helden anlegen. Punkrock mag mit Green Day, Rancid und wie sie alle heißen gerade sein drittes oder viertes Leben vergeuden, die Sex Pistols mögen sich wiedervereinigt haben, die Anarchie aber hat sich aus dem Vereinigten Königreich verabschiedet und sich ein Exil in der virtuellen Realität gesucht. Und in der königlichen Familie, aber das ist eine andere Geschichte.

„Hard Core Logo“. Regie: Bruce McDonald. Mit Hugh Dillon, Callum Rennie, John Pyper-Ferguson, Bernie Coulson u.a. Kanada 1996, 92 Min., OmU