Mann mit Gans und Bonbon

■ Fotos zeigen Antisemitismus in Ottensen heute und gestern

Im Jahre 1990 hat die Stadtreinigung die Straßensammlung des Sperrmülls abgeschafft und damit eine unschätzbare Fundgrube für StadthistorikerInnen verschüttet. Vorher ist es dem Fotografen Asmus Henkel noch gelungen, einen fotografischen Schatz zu heben, der ab Sonntag im Stadtteilarchiv Ottensen zu sehen sein wird: Ein kompletter Hausstand wartete Mitte der 80er am Straßenrand auf seine Abholung. In einer Kommode fand Henkel sechs Filmrollen. Die Negative zeigten eine Familienchronik von Mitte der 30er Jahre bis 1963. Als Henkel das Foto eines Mannes mit einer Gans unter dem Arm vergrößerte, stellte sich heraus, daß der Mann am Revers ein Bonbon trug. So nannte der Volksmund die Parteiabzeichen der Volksgenossen im Nationalsozialismus. Ein Beleg für die verdrängte braune Vergangenheit des Arbeiterstadtteils Ottensen.

Neue Aktualität bekam diese Erinnerung an den Antisemitismus in Ottensen für den Fotografen, als orthodoxe Juden im April 1992 gegen die Bebauung des ehemaligen jüdischen Friedhofs protestierten. Wenn die Anwohner auch gegen das geplante Ottensen-Quarree waren, die Solidarität mit den Juden fiel selbst bei den jungen Ottensern mager aus. Ältere Jahrgänge machten ihrer Ablehnung des Judenprotests mit deutlichen Worten Luft, Sätze wie „Wenn ich die schon sehe, wird mir schlecht“ und „Jetzt wollen die noch mal kassieren“ gehörten da noch zu den harmloseren Bemerkungen.

Asmus Henkel hat damals die Juden, Polizisten und Anwohner fotografiert. Die Bilder von 1992 und die Familienfotos aus dem „Dritten Reich“ hat er jetzt gemeinsam mit Ilona Konrad und Karin Henkel, zwei Kunsthistorikerinnen des St. Pauli Museums, in einer Ausstellung zusammengefaßt. In zwei Ebenen angeordnet, lassen sich die Fotos einzeln ansehen und geben doch einen einheitlichen Eindruck, wenn man sie aus der Distanz betrachtet. Geschickt spielen die AusstellungsmacherInnen mit den Zeitebenen: Während die Familienfotos in neuen Abzügen glänzen, sind die Bilder von 1992 schon vergilbt. Einige Aufnahmen wirken dadurch beinahe zeitlos

Heute war gestern ist denn auch der beziehungsreiche Titel der Ausstellung. Die alten Fotos zeigen eine deutsche Familie in verschiedenen Alltags- und Urlaubssituationen. Neben den damals üblichen gestellten Szenen nach dem Motto „Tante Erna vorm Busch“ sind auch Schnappschüsse und ungewöhnliche Aufnahmen dabei, wie die Dame mit dem imposanten Hut, die in einer südfranzösischen Stierkampfarena zwischen Soldaten der Legion Condor sitzt. Oder eine Panoramaaufnahme des Wohnzimmers, die in Komposition und Beleuchtung an eine Spielfilmszene erinnert: Vater schläft im Sessel, eine junge Frau malt sich die Lippen, eine andere trinkt Cognac. Ergänzt werden die Bilder durch Texttafeln zur Geschichte der Fotos und des jüdischen Friedhofs in Altona.

Iris Schneider

Zu sehen ist die Ausstellung vom 26. 3. bis zum 11. 5. Mo. bis Do. zwischen 9.30 und 16.30 Uhr im Stadtteilarchiv Ottensen, Zeißstr. 28.