Eine Scheinhinrichtung pro Woche

■ Polizeiskandal: Einer packt vor dem PUA aus / Schon Ende 1993 gab es Informationen über Gewalttaten an der Wache Kirchenallee Von Sannah Koch

Zumindest einer im Führungsstab der Hamburger Landespolizeidirektion (LPD) hatte bereits Ende 1993 die Tragweite der Vorwürfe über rassistisch motivierte Gewalttaten von Polizisten in St. Georg erfaßt. „Ich habe meinem Vorgesetzten Dittrich nach einem Telefonat mit einem Informanten sehr deutlich gesagt, daß, wenn diese Hinweise wahr seien, sich dies zu einem nationalen oder internationalen Polizeiskandal auswachsen könnte“, betonte Rüdiger Bretthauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der LPD, gestern vor dem PUA Polizeiskandal.

Am 10. Dezember 1993 habe der Konflikttrainer an der Hamburger Landespolizeischule, der Beamte Holger Jänicke-Petersen, ihm Verdachtsmomente über Scheinhinrichtungen und Mißhandlungen von Schwarzen durch Beamte der Revierwache 11 mitgeteilt. Ein langjähriger Mitarbeiter, der unbedingt anonym bleiben wollte, habe Jänicke-Petersen diese Sachverhalte geschildert.

Der Konflikttrainer habe ihm am Telefon berichtet, daß sich das Problem dieser Gewalttaten durch alle Schichten der Revierwache hindurchziehe, dabei seien drei bis vier Polizisten besonders aktiv gewesen. Sogar deren Namen habe er Bretthauer mitgeteilt. Nach Jänicke-Petersens Einschätzung, so Bretthauer, käme es bis zu einmal pro Woche zu solchen Scheinhinrichtungen. Auf seine Frage, wie man diesen Beamten auf die Spur kommen könne, habe Jänicke-Petersen ihm geantwortet, dieses ginge wohl nur durch verdeckte Ermittler in allen Schichten – in der Wache sei nämlich alles „hermetisch dicht“.

In der beschuldigten Wache wurden diese drastischen Aussagen aber offenbar nicht ernst genommen. Laut Bretthauer hat der damalige stellvertretende Revierwachenleiter Ebel die Information zu seiner Enttäuschung „als nicht glaubwürdig angesehen“. Sein Vorgesetzter in der LPD, Stabsleiter Manfred Dittrich, habe hingegen sehr betroffen auf diese Vorwürfe reagiert. Er habe ihn gebeten, Kontakt zu den Kronzeugen herzustellen, was Bretthauer jedoch trotz mehrmaliger Versuche nicht gelungen war.

Vor diesem Hintergrund besonders pikant: Just dieser Konflikttrainer Jänicke-Petersen hat nun eine Strafanzeige am Hals. Er war gestern abend als erster Zeuge vor den Ausschuß geladen, erklärte aber, er wolle die Aussage verweigern. Begründung: Am vergangenen Freitag sei ihm mitgeteilt worden, gegen ihn sei eine Strafanzeige wegen des Verdachts des Verrats von Dienstgeheimnissen und der Strafvereitelung eingeleitet worden. Erstaunlicherweise geschah dies jetzt erst, ein halbes Jahr nach seiner Vernehmung durch Oberstaatsanwalt Martin Köhnke. „Irritierend, daß Köhnke vier Tage vor der Vernehmung durch den PUA diese Anzeige einleitet“, so des GAL-Abgeordneten Manfred Mahrs Kommentar.

Die mit Spannung erwartete Anhörung des am 7. März aus „gesundheiltichen Gründen“ zurückgetretenen Landespolizeidirektors Heinz Krappen begann erst nach dem Redaktionsschluß der taz. Ihm war vorgeworfen worden, daß er frühzeitig von den Übergriffen gewußt, jedoch nicht die erforderlichen Konsequenzen gezogen habe.