„Mit dem Mund fängt alles an“

■ Ein Gesprächsporträt von Ginka Steinwachs, der Hubert-Fichte-Preisträgerin 1995

Die höchste literarische Auszeichnung der Freien und Hansestadt Hamburg ist der mit 15.000 Mark dotierte Hubert-Fichte-Preis. Er wird seit 1963 alle drei Jahre verliehen und hieß bis dato nach Alexander Zinn. Nun ehrt die Stadt nicht allein Hubert Fichte, indem sie ihrem bedeutendsten Literaturpreis seinen Namen gibt. Die Wahl der fünfköpfigen Jury fiel auf Ginka Steinwachs als Preisträgerin, morgen wird ihr der Preis im Rathaus überreicht.

1942 in Göttingen geboren, erlebte Ginka Steinwachs die Städte München, Berlin und Paris, aber auch Barcelona und New York, ließ diese Orte und ihre Sprachen auf sich wirken. „Hamburg braucht Dichter“, meint sie, „Hamburg hat ein Defizit an Dichtern. Vermutlich ist es dieses Defizit an Dichtern, an Künstlern, an Leuten, die eben nicht bloß Geschäfte machen, sondern Gedanken, Gefühle und Gedichte, das Wort Gedicht enthält ja sowohl ,Dich' als auch ,Ich'; es ist wohl dieser Mangel, der mich nach Hamburg verschlagen hat.“

Mindestens eines hat Steinwachs mit Hubert Fichte gemeinsam – den Wunsch nach Welt. Dabei steht die intellektuelle Identität gleichberechtigt neben der poetischen Identität der Ginka Steinwachs. Schon als kleines Kind bereitete es ihr unglaubliches Vergnügen, mit Wörtern zu spielen, die sie noch gar nicht verstand. Ihr artistischer Umgang mit Sprache nimmt denn auch unmittelbar Bezug auf surrealistische Traditionen. „Ich bereite mir Sprache so gastronomisch zu wie ein delikates Menü. Der lustvolle Umgang mit Sprache ist relativ selten in der Literatur. Die meisten Autoren transportieren Sinn und Sätze, zielen auf Wiedererkennen beim Leser, während ich eine Art Gegenwelt mit Hilfe von Sprache produziere.“

Dabei hat das Werk von Ginka Steinwachs nicht die erzählerische Präzision und feine Ironie von Brigitte Kronauer, ihrer großen literarischen Gegenspielerin in Hamburg. Steinwachs webt ihre vielstimmigen Texte, sie ver-rückt, verknüpft und arrangiert ihr überreiches Wortmaterial. „Ich habe oft den Eindruck, daß ich wie eine Exotin oder Exzentrikerin wahrgenommen werde, und dabei bin ich die Mitte. Vielleicht sind die anderen unterspannt. Ich habe das Gefühl, daß die Leute, die mich für überspannt halten, selbst an Unterspannung leiden.“ Lustvoll spielt sie mit der Sprache, denn mit dem Mund fängt alles an, wie sie immer wieder verkündet. Ob mit ihrem Gaumen-Theater, dem Roman marylin-paris, ihrer rosa Prosa, der Originalfälschung G-L-Ü-C-K: Ginka Steinwachs' Kunst kommt und lebt aus dem Mund: „Kann ein Text von mir in einem Buch schon die Sache selber sein? Muß er nicht vielmehr durch meinen oder jemandes anderen Mund durchgehen? Letzteres ist der Fall. Meine Texte fangen an zu leben, sobald sie von jemandes anderen oder meinem Mund gesprochen werden. Es sind vor allem Sprechtexte.“

Die Auszeichnung, den Hubert-Fichte-Preis gerade jetzt zu erhalten, sieht sie in Verbindung mit einem einschneidenden Wandel in ihrem Leben, dem „narzistischen Blasensprung“. Sie sei nicht mehr über Gebühr fixiert auf die eigene Person: „Ich habe jahrelang den Namen Steinwachs und Ginka in jedweder Form ausgedichtet – der Stein wurde zu Wachs, Ginka, Ginko, er ging, sie kam –, aber das ist unterdessen Vergangenheit. Der Preis kommt genau in dem Moment, wo ich auch andere Menschen viel stärker wahrnehme.“

Mit ihrer kunstvollen Manipulation von Wörtern lockt sie verdrängte Gefühle hervor, macht aber gleichwohl gesellschaftliche Verhältnisse bewußt, beispielsweise mit ihrer „Theorie der Liebe auf den ersten Griff“ in Hamburgs Bräute wollen den Größten. Solche Wortflüge überschreiten die Sprach- und Formgrenzen ebenso wie die Grenzen des Bewußtseins: „Sprache ist für mich ein Erkenntnisinstrument wie ein endoskopisches Gerät. Damit fahre ich inversiv in die Weltzusammenhänge.“

Wer sich den Texten von Ginka Steinwachs aussetzt, tritt eine Reise in ungemein überraschende, bislang ungesehene Gebiete an. Wer kommt mit?

Frauke Hamann