Rheinischer Schalk in der zweiten Welt

■ Gestern erhielt das Künstlerehepaar Anna und Bernhard Blume den Hamburger Edwin-Scharff-Preis

Sind Kartoffeln nur Kartoffeln oder können es auch Seelenzeichen sein? Mit solchen Fragen ringt das Kölner Künstlerehepaar Anna und Bernhard Blume dem trivialen Alltag eine neue Metaphysik ab. Das Medium ihres eigenständigen und oft skurrilen Zugangs zur Welt sind hauptsächlich große Fotoserien. Und da Bernhard Johannes Blume seit fast zehn Jahren auch Professor an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg ist, sind die Voraussetzungen gegeben, dieses Künstlerpaar mit dem Edwin-Scharff-Preis zu ehren.

Der mit 15.000 Mark dotierte Preis ist Hamburgs höchste Auszeichnung für hiesige Künstler. Letztes Jahr ging er an die in Korea geborene Hyun-Sook Song, gestern wurde er erstmalig in den 41 Jahren seiner Geschichte an ein Künstler-Paar verliehen.

„Küchenkoller“, „Holterdipolter“, „ödipale Komplikationen“, „Kontakt mit Bäumen“: Die Titel der Bildserien von Anna und Bernhard Blume scheinen Jahrhunderte entfernt von der Kunstwelt des Wiederaufbaus, für die der Namensgeber Edwin Scharff steht. Doch oft benutzen die Blumes das Ambiente jener Zeit und bearbeiten die kleinbürgerliche Gedankenwelt der Nachkriegsjahre.

In striktem Schwarzweiß und mit rheinischem Schalk verzichten die malerisch aufgebauten Bilder nicht darauf, Inhalte zu erzählen. An leicht identifizierbaren Orten wie Küche, Wohnzimmer und Wald werden zwischen den Personen und den Dingen Ereignisabläufe fotografisch dokumentiert, deren Sinn fraglich bleibt, ja deren Möglichkeit ganz unglaubhaft scheint, wären sie nicht im Großfoto erfaßt. Die künstlerische Leistung ist es, in formal komponierten Bildern Dokumente einer zweiten Welt, der Welt der möglichen Bedeutung der Dinge, zu liefern.

„Kunst ist ein Darstellungsversuch des noch nicht Dargestellten“, sagt Anna Blume, und ihr Mann führt aus: „Die Kunst ist Magie, magische Identifikation des durch Vernunft isolierten Subjekts mit dem Objekt, das hierdurch nicht Objekt bleibt, sondern Quasisubjekt wird. Für Kinder ist das tägliche Überlebenspraxis, notwendiges Spiel.“

Solche Magie ins Bild zu bringen, reizte die Fotografen schon bald nach der Erfindung des neuen Mediums. Schon vor 1900 gab es Fotos von spiritistischen Seancen, auf denen angeblich die gerufenen Geister zu erkennen waren. Bei den Blumes ist es nicht ein ferner Geist, sondern die psychische Entgeisterung, die mitunter anfallartig im (klein-)bürgerlichen Leben aufbricht. Dabei entsteht satirische Schärfe durch fotografische Unschärfe. Denn im scheinbar überraschenden Hereinschweben des Ungewöhnlichen in den banalen Schnappschuß entsteht die kritische Irritation in den Bildern von Anna und Bernhard Blume.

Brav malochen und dafür drei Tage Karneval: In den Bildern der Blumes ist stets beides zugleich. Und damit unterscheiden sie sich herausragend von der großen und erfolgreichen Künstlerfotografenriege der kalt-objektiven Düsseldorfer Becher-Schüler.

Bernhard Johannes Blume, der nächstes Jahr seinen sechzigsten Geburtstag feiern kann, legte die Basis zu seiner Kunst in einer Ausbildung als Deko-Maler im Kaufhaus und in einem Philosophiestudium. Und so erscheint es konsequent, daß er zu einem Kunst-Mix aus pseudo-banalen Filzstift-Zeichnungen und pseudo-intellektuellen Sprachdiskursen fand. Zusammen mit seiner Frau Anna entstehen die pseudo-objektiven Fotoserien, in denen die beiden auch gleichermaßen als Akteure agieren.

Die Kunst der Blumes setzt weniger etwas Vorhandenes ins Bild, sondern zeigt, wie mühsam es ist, überhaupt ein Bild von etwas zu gewinnen und aufrechtzuerhalten.

Hajo Schiff