Jede Currywurst sichert die Zukunft

Mit dem Imbißstand erkämpft sich der Vietnamese Khanh das Bleiberecht für die Familie. Erleichterung über die Festnahme von Mafiabossen und Mitleid mit den kleinen Zigarettenhändlern  ■ Von Marina Mai

Wenn Khanh frühmorgens seinen Imbißstand aufschließt, warten schon ein paar Arbeiter von den umliegenden Baustellen auf den Kaffee. Um diese Zeit hat außer Khanh nur der Bäcker geöffnet. „Es geht sofort los“, beruhigt der vietnamesische Standinhaber seine Kunden.

Zum Morgenkaffee lesen die Bauarbeiter Zeitung. Khanh erfährt von ihnen, was er wissen muß. Daß er seinen Imbiß länger öffnen darf, daß die BVG bald mehr kostet und daß es am Nachmittag regnen wird. Bei Regenwetter hat er wenig Kunden. Vor ein paar Wochen haben die Kaffeekunden Khanh das Foto vom verhafteten Mafiaboß Ngoc Tiem gezeigt. „Dolles Ding. Das war eine Leistung von der Polizei“, kommentiert Khanh, der den Jargon seiner Kunden spricht.

„Der kann für immer in Moabit bleiben. Wer sechs Menschen in einer Marzahner Wohnung umbringt, nur für Kohle, gehört ins Gefängnis.“ In Vietnam, das weiß Khanh, erwartet einen Sechsfachmörder die Todesstrafe. Aber er weiß auch, wer zeitweise bis zu 1.200 Zigarettenverkäufer abkassierte, hat Geld. Nicht auszuschließen, daß man damit einen Gefängnisschließer in Vietnam bestechen kann. Es ist also besser, der Mafiaboß bleibe in Moabit, meint Khanh. Und von den Zigarettenverkäufern, die neben seinem Imbiß ihre unverzollten Glimmstengel anbieten, hat er bereits gehört, daß Le Duy Bao alias Ngoc Tiem die Ermittlungsbehörden gebeten hat, die Strafe in Deutschland abzusitzen. Wegen der drohenden Todesstrafe in Vietnam.

Anders als die Mafiabosse genießen die kleinen Zigarettenverkäufer durchaus Achtung bei Khanh. „Die sind arme Schweine.“ Bei Wind und Wetter unter freiem Himmel auf Kunden zugehen, das ist eine Erfahrung, von der ihn nur das dünne Gehäuse des Imbißstandes trennt. Zigarettenverkaufen hält Khanh für Arbeit, „Abkassieren“ der kleinen Zigarettenverkäufer nicht.

In den letzten Wochen fanden öfter Polizeirazzien gegen die Zigarettenverkäufer neben seinem Imbiß statt. Wer keine Papiere hatte, verschwand auf Nimmerwiedersehen. Die anderen Zigarettenverkäufer bekamen eine Geldstrafe und damit eine registrierte Vorstrafe, die irgendwann eine Ausweisung rechtfertigt. Manche bieten trotzdem weiter unverzollte Glimmstengel an, weil sie keine andere Möglichkeit sehen, ihre Schulden abzuzahlen, die sie für den Transfer nach Deutschland gemacht haben.

Werden sie ausgewiesen, bevor sie die Schulden abzahlten, bleiben sie lebenslang Schuldner und damit lebenslang in der Hand mafioser Kreise. Khanh meint zwar, daß die Zigarettenverkäufer zum schlechten Image der Vietnamesen beitragen und eigentlich aus Deutschland rausmüßten. Aber die vor seinem Imbiß, die kennt er, und sie tun ihm leid.

Khanh hat niemals mit unverzollten Zigaretten gehandelt. „Ich hatte Glück. Hatte meinen Job in Cottbus bis 1992, und von der Abfindung habe ich den Imbiß gekauft.“ Daß er das durfte, verdankt er einem Vertrag, den Almuth Berger als Brandenburger Ausländerbeauftragte der letzten DDR- Regierung mit Vietnam aushandelte: Ehemalige Vertragsarbeiter dürfen im Unterschied zu anderen Ausländern mit Befugnis ein Gewerbe anmelden. Das ist für viele eine Chance, schiebt Vietnamesen aber wiederum auf wenige ungeschützte Arbeitsmarktsegmente ab: Textilhandel, Asiaimbiß, Chinarestaurants. Derzeit sind im Textilhandel Handelsketten im Entstehen. Selbständige Vietnamesen haben sich als Groß- und Zwischenhändler etabliert und beliefern ihre Landsleute auf den Wochenmärkten mit Ware. Ihnen kommt die ungenügende Integration dieser Leute in die deutsche Gesellschaft zugute. Kaufen Vietnamesen die Ware bei ihren Landsleuten ein, können sie ihre Sprache sprechen und Ratenzahlungen und Rückgaberechte vereinbaren, die ihnen deutsche Großhändler nicht gewähren.

8.30 Uhr. Die Bauarbeiter sind längst verschwunden. Bis gegen 10 Uhr die ersten Arbeitslosen eintreffen, die aus Langeweile ein Bier und manchmal eine Currywurst kaufen, hat der Imbißverkäufer Zeit, das Mittagessen vorzubereiten. Jetzt trifft auch Ha, Khanhs Frau, ein, die die zweijährige Tochter in Ruhe in den Kindergarten gebracht hat. Diese Zeit am Morgen muß sein, denn abends wird die Tochter als letzte abgeholt und muß sich dann bis 19 Uhr allein auf dem Wochenmarkt beschäftigen. Da schließt der Imbiß. Ha muß jetzt Zutaten kaufen. Ab 12 Uhr holen sich die umliegenden Geschäftsinhaber bei Khanh Chinapfanne oder Döner. Wenn er sie nicht zügig bedient, kommen sie nicht wieder.

Khanh hat eine Aufenthaltsbefugnis für Deutschland. Das ist ein befristetes Bleiberecht, das alle zwei Jahre verlängert werden kann. Es wird nur verlängert, wenn die Familie ihren Lebensunterhalt durch Arbeit verdient, wenn sie ausreichend Wohnraum hat und straffrei ist. Geht Khanhs Imbiß pleite, ist ihm die Ausweisung so gut wie sicher. Gegenwärtig muß er das nicht befürchten, es sei denn, die Standmiete würde heraufgesetzt werden. Anders als die vietnamesischen Textilhändler. Der verregnete Sommer brachte für viele den Ruin und gefährdet damit ihr legales Bleiberecht.