Sag ja zu Jes!

Der Berliner Verleger und Galerist Jes Petersen stammt eigentlich aus Flensburg, wurde am 2. November im Moabiter Knast 60 Jahre alt und läuft nun wieder frei in Charlottenburg herum  ■ Von Helmut Höge

„Ich muß jetzt Bilder verkaufen, Bilder verkaufen, damit Geld hereinkommt.“ Er wuselt durch seine Wohnung und räumt erst einmal seine Bibliothek auf, die die Bullen bei ihrer Durchsuchung durcheinanderbrachten. Sie zerfledderten auch sein Archiv, das er für seine „Lebensgeschichte“ braucht, an der er auch in U-Haft weiterschrieb. Laut Fritz Mierau hat sie den nordischen Titel „Jes Petersens wundersame Reise“.

Ende der fünfziger Jahre hatten die Bullen ihm schon einmal sein gesamtes Archiv zusammengekloppt: Das war, nachdem die Pariser Exilanten Raoul Hausmann und Emil Szittya auf den „weggelaufenen Sohn eines dänischen Schweinezüchters“, wie Franz Jung ihn nannte, aufmerksam geworden war und Jes von Jung überredet wurde, in Glücksburg den Verlag „Petersen Press“ zu gründen. Er hatte gerade Oskar Panizzas „Liebeskonzil“ gedruckt, da erschien auch schon die Polizei: „Dieselben Typen wie damals, genau dieselben,“ murmelte Franz Jung, der kurz zuvor in Glückstadt angekommen war.

Bevor Petersen Verleger und dann Galerist wurde, hatte er ordentlich die Landwirtschaft gelernt. Später konnte er sich immer mal wieder mit der letzten Fruchtfolge „Erbmasse“ pekuniär über Wasser halten. Anfänglich versuchte er es noch mit Pornographie: „Das wurde damals mit einer ähnlichen Leidenschaft und Sorgfalt verfolgt wie heute der Drogenhandel.“ Der Vertrieb lief über Südamerika, wo bei jemandem die Bestellungen eingingen. Sie wurden dort auf einen winzigen Punkt verkleinert, in einen harmlosen Text montiert und dann in Flensburg wieder vergrößert. 1963 waren die staatsanwaltlichen Schikanen jedoch derart „kompakt“ gediehen, daß Petersen nach Westberlin auswich.

Ein wunderbares Buch ohne Verleger

Dort war er zunächst Ghostwriter von Valeska Gert und Ghostpainter des „Inflationsheiligen“ Schröder-Sonnenstern, über den er Ende der achtziger Jahre ein wunderbares Buch zusammenstellte, das noch immer keinen Verleger gefunden hat. Dessen „Pferdearschbetrachtungen“ hatte Petersen bereits 1965 veröffentlicht, ich erwarb sie Ende 68 am SDS-Bücherstand, und schon zehn Jahre später ging ich fast tausend Kilometer zu Fuß immer dicht hinter einer opulenten rotbraunen Hannoveranerstute her – so viel zur Wirkungsgeschichte dieser Publikation.

Zur selben Zeit, also 77/78, eröffnete Petersen seine Galerie: „Zero, Spur, Happening, Fluxus, Wiener Aktionismus, von der Weltrevolution ganz zu schweigen!“ (J.P.) Das Künstlerspektrum reichte von Grüblern wie Thomas Schmidt und Dieter Roth über solch laute Leute wie Kippenberger und Elvira Bach bis zum Chichi-Satanisten H.R. Giger, dessen „intrauterine Techno-Visionen“ zwar die halbe Gruftie-Szene in die Galerie lockten, jedoch viele fromme Kulturschaffende vergraulten. Anregend war auch immer wieder Thomas Kapielski, und sei es nur als einer von vielen „Rittern im Geiste Karl Valentins“, arrangiert von Michael Glasmeier. Noch anregender gestalteten sich mit den Jahren die nachmittäglichen Sitzungen in Petersens Galeriebüro und in seiner Bibliothek.

Das Ende der Avantgarde

Dort wurde – als mit der Wende das Ende dieser ganzen Westberliner Avantgardeherrlichkeit absehbar geworden war (1990) – der „Art Brut“-Verein gegründet. Mit ihm sollte laut Satzung „Aufklärung über Außenseiter und krasse Situationen von Künstlern und deren soziale Bezüge erfolgen“. Dazu zahlten wir alle erst einmal 100 Mark Jahresbeitrag an Petersen: Das war noch billig, gemessen an dem, was er jedesmal so an Bündner Rauchfleisch und Erfrischungsgetränken auftischte. „Aber so machen wir das hier jetzt, wir bilden ein Zelle, früher hieß es eine ,rote Zelle‘, wir machen jetzt also eine ,Irren-Zelle‘“, teilte Petersen der örtlichen Presse mit.

Dummerweise vergraulte er dann bald Barbara Wien mit ihren Künstlerinnen und ihrer Buchhandlung nebenan, und dann starb auch noch sein wichtigster Mann: Oskar Huth. Der war in seinen letzten Jahren fast täglich vom „Zwiebelfisch“ (am Savignyplatz) in die Petersen Galerie (Goethestraße) gependelt: „Hier changiert mit Freimut das optische Gewissen!“ Über den „Anti-Nazi-Aktivisten“, Kunsttrinker und Klavierstimmer „Hüthchen“ (Günter Grass) wäre viel zu sagen, es gibt jedoch inzwischen zwei Bücher über ihn (eins nur im Zwiebelfisch), hier deswegen bloß soviel: „Ein Instrument ist richtig gestimmt, wenn es falsch gestimmt ist, ohne daß man es merkt. An manchen muß man den Diskant ganz anders einrichten als an anderen. Wenn man das nur mathematisch macht, dann ist der Charakter futsch.“ (O.H.)

Petersen kannte Oskar Huth noch aus der „Leierkasten“-Zeit, wo dieser eine Zeitlang gegen Schnaps Stummfilme am Klavier betont hatte. Je besoffener Oskar wurde, desto druckreifer redete er, wie Petersen hatte er jedoch eine große Scheu vor allen Aufzeichnungsgeräten. Dennoch gelang es Kapielski 1993, als die Galerie schon in den letzten Zügen lag, beide noch vors Mikrofon zu bekommen – zum (Hauptstadt-) Thema: „Scheitern“. Ein Jahr später erschienen ihre Gespräche im Karin Kramer Anarcho-Verlag unter dem Titel „Der Einzige und sein Offenbarungseid – Verlust der Mittel“.

2,5 Kilo Koks in drei Ölgemälden verpackt

Petersen hatte unterdes damit angefangen, in den Ostberliner Franz-Jung-Forschungsheften des Basisdruck-Verlags „Sklaven“ einige Kapitel seiner Biographie unterzubringen. „Bruchstücke“ seines Schröder-Sonnenstern-Buches erschienen in Rudolf Stoerts programmatischem Avantgarde-Reader „Warten“. Ein Reisebericht „nach Prinzendorf“ (zu Hermann Nitsch) zirkulierte im Freundeskreis, wozu u.a. ein Stammtisch bei „Hoek“ in der Wilmersdorfer Straße gehört. Dann wurde es langsam still um Jes: „Was ist mit Galerist Petersen, der sein ganzes schleswig-holsteinisches Gutsbesitzervermögen in die Avantgarde- Kunst stopfte? Ist er nicht genaugenommen auch ausgeraubt worden?“ fragte ich Mitte 1995 in einem taz-Text über den „gnadenlosen Savignyplatz“ – aus damals aktuellem Anlaß.

Ein Jahr später, am 11. Juli 1996, wurde – ausgerechnet – er verhaftet, nachdem das LKA ihn sowie seinen „Schüler“, den steiermärkischen Kunstsammler und Immobilienhändler Martin Kuschnick, wochenlang abgehört hatte. Es ging um 2,5 Kilo Koks aus Südamerika, in drei Ölgemälde verpackt, die der Zoll in La Paz abgefangen hatte. Das Paket war an Petersens Galerie adressiert worden. Vor Gericht erklärte Jes am 25. November: Seine Kunst sei irgendwann aus der Mode gekommen, „dann kam noch die Maueröffnung dazu, und die Depressionen fingen an“.

Absolut bürgerliche Verhältnisse

Er sei eigentlich „Weintrinker“. Hoffnung habe ihm nur noch eine „Erbtante“ gemacht. Kuschnick habe ihm dann erst einmal 85.000 Mark geliehen. Dafür habe er ihm die Galerieadresse für eine kleine Kokslieferung zur Verfügung gestellt. Kuschnick erzählte: Auch seine Geschäfte seien immer schlechter geworden und das Eintreiben der Außenstände immer „zäher“.

Er habe dann immer mehr gekokst und Karten gespielt. Irgendwann habe er 60.000 Mark Schulden gehabt, die er mit der Koksbeschaffung quasi abarbeiten sollte. Neben mir auf den mit Petersen- Fans gut gefüllten Zuschauerbänken saß eine Frau namens Corinna, die immerzu nickte. In einer Verhandlungspause meinte sie: „Ich habe meine ganze Kreativität mit Koks verpufft, jetzt kann ich nur noch gut ficken!“

Die junge, strenge Staatsanwältin sprach dann auch von „ganz erheblichen Mengen eines harten, gefährlichen Rauschgifts“. Der ebenso kunstsinnige wie drogenerfahrene Richter („Wir sind eine Rauschgift-Fachkammer“) bemängelte jedoch zum einen das Fehlen einer Koks-Qualitätsbestimmung durch das „Bezirkskommando der Sonderkräfte zur Bekämpfung des Drogenhandels in Bolivien“ und glaubte zum anderen der LKA-Abhörprotokoll-Interpretation nicht, wonach es sich beim „Art Brut Verein“ um einen Koks-Verteilring handelte. Petersens Anwalt Tommy führte aus: Sein Mandant lebe „in absolut normalen und gesicherten bürgerlichen Verhältnissen“ und sei verheiratet. Außerdem habe man im Haftkrankenhaus seine schwere Diabetes behandelt und es stehe noch eine dringende Augenoperation an.

Am Schluß bekam Jes für versuchten Drogenimport und -handel zweieinhalb Jahre aufgebrummt, wurde jedoch erst einmal auf freien Fuß gesetzt. Kuschnick bekam drei Jahre und zwei Monate und mußte zudem, da vergleichsweise „bindungslos“, in die U-Haft zurück. Beider Rechtsanwälte gingen später in Revision. Das verschafft Petersen erst einmal noch mehr freie Luft, er hat auch in U- Haft 20 Kilo abgenommen, und dann will er mit Unterstützung von Personen des öffentlichen Lebens ein „Gnadengesuch“ einreichen: „Ich muß mich doch um Ilona kümmern!“

Prozeßbeobachter Kapielski meinte anschließend: „Diese Gerichte sind wirklich komisch – da krempeln sie die ganzen Biographien der Leute um und suchen nach der Wahrheit, und dabei geht es eigentlich die ganze Zeit immer nur um Nicht-Knast oder Knast und wie lange.“ Mit Franziska Gräfin zu Reventlow („Der Geldkomplex“), ebenfalls aus Schleswig- Holstein stammend, ließe sich dazu anmerken: Mit zwei Millionen und beispielsweise 600.000 Mark wäre Petersen wirklich mehr geholfen gewesen.