Nachbar gegen Nachbar wegen 5 Mark 95

■ Egal wie niedrig der Streitwert auch ist: Wer Tür an Tür wohnt, klagt allzu gern. Verschiedene Nachbarschaftsvereine versuchen, den Gemeinsinn wieder wachzurufen

Mal geht es um Hunde, die durch den Jägerzaun pinkeln, mal um Katzen, die auf des Nachbarn Autodach schlafen. Nachbarn klagen gegen Nachbarn, immer häufiger und immer mehr wegen kleinkarierter Sachen. Da zerrt eine Vermieterin eine Mieterin vor Gericht, weil deren Kinder Äpfel vom nichtvermieteten Baum geangelt haben. Streitwert: 5 Mark 95. Da regt sich ein Nachbar auf, weil im Garten des anderen spießige Zwerge stehen. Das Streit landet vorm Oberverwaltungsgericht. „Es ist eine gesteigerte Bereitschaft zu verzeichnen, einen Nachbarschaftsstreit vor Gericht auszutragen“, sagt Rechtsanwältin Angelika Rüstow. Der Spiegel schrieb vor Wochen: „Immer häufiger bemühen die Bürger wegen Kinkerlitzchen die Gerichte: 1993 mußten sich deutsche Zivilrichter in 252.873 Fällen mit Streitwerten unter 500 Mark heraumschlagen.“ Angelika Rüstow plädiert für die Einführung von außergerichtlichen Schlichtern. Im Mai beugte sich gar der Deutsche Anwaltsverein zu dem Thema herab.

Seit einem Jahr ist Thomas Mampel Geschäftsführer des Lankwitzer Nachbarschaftsvereins. Waren es anfangs 13 Mitglieder, sind es heute schon 120. Weil „das soziale Netz nicht mehr taugt, Probleme zu lösen, weil immer mehr Menschen arbeitslos werden und die Gesellschaft sie einfach wegwirft“, übernehmen Nachbarschaftsläden und Vereine wie der von Thomas Mampel die Mittlerfunktion zwischen den Menschen. Sie bieten Kaffeeklatsch und Freizeitbörse an, und auch das gemeinsame Benutzen von einem Umweltticket. „Wenn dadurch Beziehungen auch über den Verein hinaus entstehen, haben wir ein Ziel erreicht.“

Wie weit die Freundschaft unter Nachbarn geht, hat Lutz Reineke in den vergangenen fünf Monaten erfahren. Er leitet den Tauschring „Heller“ in Hellersdorf, ein Projekt, das es schon drei Jahre gibt. „Bisher aber machen nur 30 Leute mit“, sagt Reineke. Die Idee: Der eine bietet das an, was er kann und was der andere braucht. Kinderhüten gegen Haareschneiden beispielsweise. Doch sei das heutzutage halt schwer zu vermitteln und Solidarität sowieso ein Fremdwort geworden. Ist er ein Illusionist? „Irgendwie ja“, sagt Lutz Reineke. Kinder sollen lernen zu tauschen, der Bezirk durch Projekte wie den Tauschring zusammenwachsen.

Das neueste in Sachen Nachbarschaftshilfe hat dieser Tage Innensenator Schönbohm verkündet. Er könne sich vorstellen, daß, ähnlich wie in England, auch in Berlin wachsame Bürger für Ruhe und Ordnung im Kiez sorgen. Nachbarn passen auf Nachbarn auf, wenn sie denn schon nicht miteinander reden. Jens Rübsam