Immer vorwärts?

Reinhold Messners neues Buch ist kein weiterer Erlebnisbericht, sondern eine populäre, facettenreiche Geschichte des Expeditionismus  ■ Von Dominik Siegrist

Die Geschichte ist rasch erzählt: Nachdem der Südtiroler Bergsteiger Reinhold Messner alle 14 Achttausender erstiegen hatte, scheiterte er 1995 bei dem Versuch, zu Fuß zum Nordpol zu gelangen. Im Juli 1996 fiel Messner beim Klettern zu Hause von einer Mauer und holte sich einen komplizierten Trümmerbruch. Statt auf Expedition verbrachte er den Sommer im Spital und dachte nach. Im Herbst 1996 erschien dann statt des zwölften Expeditionsberichts etwas ganz anderes: „Nie zurück“. Messner hatte eine facettenreiche populäre Geschichte der Expeditionen geschrieben – eines seiner bisher interessantesten und gehaltvollsten Bücher.

Der Bericht über die gescheiterte Polarreise fällt angenehm kurz aus und erhält nur gerade mal acht Textseiten. Ausführlich analysiert demgegenüber Messner – im gewohnt populären Stil – Wesen und historische Hintergründe des Expeditionismus. Er läuft damit entschieden gegen die Tradition des eigenen Genres, dessen Stärken Analyse und Reflexion aus naheliegenden Gründen nie sein konnten. Als überflüssige Schnörkel erscheint die Zitatensammlung berühmter Männer, welche im Buch des Expeditionisten die Randspalten ziert. Daß dabei neben stehenden Sätzen von Friedrich Nietzsche und Karl Kraus auch einige Zeilen Messner stehen, wird dem Bergsteiger kaum zur Altersrolle des Philosophen reichen. Um in der Öffentlichkeit präsent zu bleiben, müssen moderne Helden wie Reinhold Messner wohl auch in Zukunft ihre Muskelkraft trainieren.

Mit der Idee der drei Pole (Nordpol, Mount Everest, Südpol) greift Messner einen Ansatz des Himalaja-Pioniers Günter Oskar Dyrenfurth auf. Vor dem Hintergrund des zivilisatorischen Über- Ichs, welches da ausgelebt wird, ist das Thema allerdings noch nicht ausgereizt. Besonders fehlt bei Messner die Entdeckung des Weltalls, die bezüglich zivilisatorischer Phantasien und technischer Utopien noch einige Möglichkeiten bereit hielte. Dennoch, der Autor und Bergsteiger sieht sich auch so im Zentrum, und gleich am Anfang gratulieren ihm einige Heroen der Expeditionsgeschichte. Einer Geschichte notabene, an deren Ende in diesem Buch Reinhold Messner steht.

Nüchterner betrachtet, prägte Messner einen bestimmten Abschnitt des modernen Expeditionismus tatsächlich entscheidend mit. Das war jene Zeit, als die Bergsteiger by fair means – also mit möglichst wenig technischen Hilfsmitteln – auf die Achttausender zu steigen begannen. In der aktuellen Phase beginnt sich der Massenhimalajismus durchzusetzen. Durchaus folgerichtig bezieht Messner kritisch zu den jüngsten Tendenzen Stellung, die nicht nur die Umwelt, sondern auch einige klassische Metaphern zu zerstören drohen: „Masse“ verdrängt „Wildnis“, „Technik“ verringert „Leistung“ usw. Doch selbstverständlich hilft der Bergsteigerprotest wenig gegen den „kommerziellen Gänsemarsch“ (Messner) zum Everest. Oder um es individuell-moralisch auszudrücken: Viele Extrembergsteiger haben ja die Entwicklung zum Massenhimalajismus selber mit vorbereitet, indem sie ihre Taten auf den Himalajariesen medial und kommerziell ausschlachteten.

Reinhold Messner: „Nie zurück: Nordpol, Mount Everest, Südpol; 3 Fluchtpunkte“. BLV, München 1996; 264 Seiten; 62 sfr