Jungfrau aus Münster

■ Pikiertheiten um ein Lyrikprogramm zu Annette von Droste-Hülshoff

Im kühlen Grab auf der Meersburg am Bodensee liegt sie, das adelige Fräulein, dessen Geburtstag sich am 12. Januar zum 200. Mal jährt. Festreden, Vereinnahmungen und Geschichtsklitterungen drohen „Westfalens bekanntester Frau“ (Fremdenverkehrswerbung). Und derzeit tobt schon eine Provinzposse um die Dame, die es in die Schulbücher und auf den 20- Mark-Schein gebracht hat. Endlich wird Annette von Droste-Hülshoff, die so oft instrumentalisierte und verniedlichte Dichterin, ein wenig skandalträchtig.

Schuld daran ist der sattsam bekannte Lyrikunternehmer Lutz Görner. Neun Monate hat der Kölner Rezitator im stillen Kämmerlein nach vierjähriger Lektürearbeit an seinem Droste-Programm gefeilt, bis zum 21. März tourt er durch die ganze Republik.

In der Droste-Stadt Münster gastiert Görner besonders lange, heute zum letztenmal. Die Westfälischen Nachrichten präsentierten das Ereignis anfangs stolz. Bis dem ebenso konservativen wie katholischen Richtungsblatt, das unter einer rot-grünen Stadtregierung ächzt, bewußt wurde, was sie da powern: ein Programm, in dem Görner das Denkmal Droste von der menschlichen Seite zeigt.

Er enthüllt ihren Heimathaß (Streß mit den lieben Verwandten), ihre Regelbeschwerden (alle 28 Tage sieben bis zehn Tage unter Schmerzen im Bett), ihre Depressionen („sie muß alles so zum Kotzen gefunden haben“), ihre diversen Zipperlein (von Kurzatmigkeit bis Durchfall), ihre Glaubenszweifel am Genesisbericht der Bibel (ihre Muschelsammlung sagte ihr, daß die Erde älter ist als 5.500 Jahre) und ihr sagenumwobenes Liebesleben: Die Droste, so Görner, liebte mit ziemlicher Sicherheit Frauen wie ihre Freundin Sybille Mertens und Amalie Hassenpflug, die einzigen Menschen, die sie zeitlebens neben ihrem Manager Levin Schücking duzte. Die Droste eine Lesbe? „Zu gönnen wäre es dem weiblichen Goethe gewesen“, meint Görner, Sex mit Männern traut er ihrer Klugheit nicht zu: „Das wäre ihr sicherer Tod gewesen. Auch die Liebesgeschichte mit Levin Schücking ging wohl über Petting nicht hinaus.“

Solche Thesen gingen dem Verleger der Westfälischen Nachrichten offenbar zu weit. Dem Vernehmen nach veranlaßte Annettes selbsternannter Gralshüter Anton-Wilhelm Hüffer, ein Nachfahre des ersten Droste-Gedichtverlegers, daß Görners Show zeitweise in seiner Zeitung sogar im Veranstaltungskalender verschwiegen wurde. Auf Anfrage der taz eierte der Chefredakteur Jost Springensguth erst ziemlich herum und raunte dann von Görners Droste-Bild, das „nicht nachvollziehbar“ sei. Der Beschuldigte wurde konkreter: „Springensguth sagte mir, daß ich die katholische Kirche beleidigt und die Droste-Hülshoffs als Adelsgeschlecht aus der zweiten Bundesliga abgewertet habe. Die Kritikerin, die eine positive Rezension schrieb, soll Probleme bekommen haben.“ Ob die Droste nun lesbisch, bi oder gar asexuell war, mag aber auch Görner nicht festlegen: „Die entscheidenden Briefe sind vernichtet.“

Winfried Woesler, Osnabrücker Literaturprofessor und Vorsitzender der 400 Mitglieder starken Droste-Gesellschaft, hält Görners Themen für die zwanghafte Modernisierung einer Legende: „Es ist schick, zu unterstellen, daß die Droste lesbisch war. Sehr wahrscheinlich ist sie als Jungfrau gestorben. Sie hat Männer geliebt und sogar mal ihrer Schwester einen Pferdeknecht ausgespannt.“ „Nirgendwo küßt es sich so heiß wie in den Treibhäusern von Hülshoff“, heißt es in zeitgenössischen Quellen. Manfred Otzelberger