Für eine Handvoll Euros

Auf dem EU-Gipfel einigen sich die Regierungschefs über die Grundzüge des Stabilitätspaktes  ■ Aus Dublin Alois Berger

„Es ist gelungen“, jubilierte der österreichische Finanzminister Viktor Klima um drei Uhr morgens in der Krypta des Dublin Castle, „wider alle Erwartungen.“ Der deutsche Finanzminister Theo Waigel, der eine Stunde später in einer alten Blechhalle im Hinterhof des Schlosses die Presse um sich scharte, war sich da nicht so sicher. Und auch der französische Finanzminister wollte nicht unbedingt von Durchbruch sprechen.

Den ganzen Vormittag lang versuchten gestern Journalisten beim Dubliner EU-Gipfel aus den Pressesprechern herauszubekommen, wie das Ergebnis der Nachtsitzung nun einzuordnen sei. Elf Stunden hatten die Finanzminister über den Stabilitätspakt zur Währungsunion gestritten, nicht alle maßen dem Pakt allerdings soviel Bedeutung bei wie der Deutsche und der Franzose, die seit Monaten um Zahlen feilschen, die außer ihnen kaum jemand versteht. Einige im Saal sollen zwischenzeitlich sogar eingeschlafen sein.

Nach neun Stunden war immerhin das Verfahren klar, wie Teilnehmer der Währungsunion an einer Überschreitung des erlaubten Haushaltsdefizits gehindert werden sollen. 3 Prozent sind genehmigt, wer mehr macht, muß bis zu 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zinslos hinterlegen. Waigel müßte derzeit 7 Milliarden Mark zahlen, die er erst nach einem Jahr zurückbekommen würde.

Doch der deutsche Finanzminister geht davon aus, daß ihm das in Zukunft nie wieder passieren kann und daß er im Gegenteil aufpassen muß, daß die anderen nicht zuviel Schulden machen. Denn das, so läßt er verbreiten, würde die Stabilität des Euro gefährden und die Inflation anheizen. Das wird zwar von vielen Fachleuten etwas anders gesehen, aber Theo steht bei den deutschen Wählern im Wort. Das sei mittlerweile „ein psychologisches Problem“, meint auch der Präsident des Europaparlaments, Klaus Hänsch. Die deutsche Bevölkerung brauche Sicherheit, wenn sie die Mark aufgeben solle.

Hänsch spielt auf dem Dubliner Gipfel so etwas wie das demokratische Gewissen der EU. Er erinnert die Regierungschefs immer daran, mehr an die einfachen Leute zu denken, und zwar nicht nur an die eigenen. Auch in Frankreich gebe es ein psychologisches Problem, mahnt er in Richtung Waigel, auf das es Rücksicht zu nehmen gelte. Denn in Frankreich wird von der Regierung erwartet, daß sie in schwierigen Zeiten vor allem die Arbeitslosigkeit bekämpft, notfalls auch mit einer Erhöhung der Staatsausgaben. Was da im Dubliner Schloß kurz nach Mitternacht passierte, war nicht weniger als der Zusammenprall zweier unterschiedlicher Wirtschaftskulturen, bei dem die französische schließlich mehr Federn lassen mußte. Das Verfahren, mit dem die Strafe verhängt wird, ist überaus kompliziert und überläßt die Entscheidung letztlich doch dem Rat der 15 Finanzminister. Von einem Automatismus, wie ihn Waigel ankündigte, kann keine Rede sein. Doch die Ausgangslage ist anders als ohne Stabilitätspakt. Denn die Finanzminister beraten dann nicht, wie ein Defizitsünder bestraft werden soll. Vielmehr rechnet die EU-Kommission aus, wie hoch die Strafe nach den Regeln des Paktes sein müßte, und die Finanzminister verhandeln dann nur noch, ob sie ganz oder teilweise verhängt werden soll.

Daß sich der Pariser Finanzminister überhaupt auf den Stabilitätspakt eingelassen hat, macht deutlich, wie sehr seine Regierung den Euro will. Um so härter kämpfte sie nun um die Ausnahmeregeln. Erst gestern abend konnten die Staats- und Regierungschefs den Kompromiß festklopfen. Danach soll das Defizit automatisch überschritten werden dürfen, wenn das Bruttoinlandsprodukt um mehr als zwei Prozent in einem Jahr sinkt. Für den Bereich von 0,75 bis zwei Prozent Wirtschaftsrückgang soll es zudem bei der Mehrheit der Finanzminister liegen, ob sie dem betreffenden Staat ein höheres Haushaltsdefezit genehmigen. Hier wollte Waigel ein Prozent haben.

Der irische Verhandlungsleiter Ruarai Quinn brach die Diskussion ab, weil er fürchtete, der bisher erreichte Kompromiß könnte wieder in Gefahr geraten. Nun sieht er den Euro „so stark wie die Mark“ werden.

Theoretisch hätte es keinen Zeitdruck gegeben, aber „wir brauchen diese Einigung“, meinte EP-Präsident Klaus Hänsch, „damit die Diskussion aufhört.“ Hänsch möchte, daß sich die Regierungschefs auf dem Gipfel in Dublin auch noch mit etwas anderem beschäftigen – mit dem irischen Entwurf für den Maastricht-II-Vertrag zum Beispiel. Der Entwurf sei eine gute Grundlage, lobte Hänsch, vorausgesetzt, es werde in den verbleibenden sechs Monaten „nach oben und nicht nach unten gehandelt“.