Schritt für Schritt zur Militärmacht

■ Hartnäckig wurde die Öffentlichkeit an deutsche Kampfeinsätze gewöhnt

Bonn (taz) – „Ja, natürlich“ hält Volker Rühe den Begriff „Kampfeinsatz“ als Beschreibung der Bundeswehroperation in Bosnien immer noch für unzulässig. Der Golfkrieg, das sei ein Kampfeinsatz gewesen. Der deutsche Verteidigungsminister wird nicht müde, das in diesen Tagen treuherzig wieder und wieder auf Pressekonferenzen, in Hintergrundkreisen und vor Gesprächszirkeln zu erklären. Der irakische Präsident Hussein habe die Welt schließlich nicht gebeten, ihm beim Abzug aus Kuwait behilflich zu sein. „Wir sind aber doch in Bosnien von den Konfliktparteien eingeladen worden.“

Die feinsinnige Unterscheidung hat einen doppelten Boden. Sie ist im Blick auf die gegenwärtige Situation in sich schlüssig und unangreifbar. Und so ganz nebenbei und unauffällig macht sich Volker Rühe damit auch über seine politischen Gegner lustig. Er weiß ja, daß der spitzfindige semantische Streit über „Kampfeinsätze“ antiquiert ist. Die anderen werden's schon noch merken.

Wann und wo auch immer der Verteidigungsminister seinen Satz über Saddam Hussein sagt, ist ihm ein Lacher sicher. Er selber lacht auch. Das Lachen des Siegers. Die Fakten sind längst geschaffen.

Volker Rühe hat aus Fehlern gelernt. Ein Desaster wie der ruhm- und erfolglose Einsatz in Somalia soll ihm nicht noch einmal passieren. Heute prüft er Erfolgsaussichten einer Operation genau. Wenn der Verteidigungsminister seine Weigerung begründet, deutsche Truppen ins Krisengebiet nach Zaire zu schicken, dann wird deutlich, daß er sich über die Lage vor Ort genau hat informieren lassen.

Aus gutem Grund. Rühes unermüdliches Ringen um größtmögliche Zustimmung auch der Opposition für seinen Kurs beweist, daß er das demoskopische Risiko kennt. Wenn deutsche Soldaten im Ausland eines gewaltsamen Todes sterben, dann kann die bislang freundlich geneigte Stimmung in der Öffentlichkeit ganz schnell umschlagen. Mit Bedenken prinzipieller Art aber hätte das nichts zu tun. Die sind für die große Mehrheit vom Tisch.

1994 hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das Kabinett gerügt. Es habe die Rechte des Parlaments verletzt. Die Bundesregierung hätte die Zustimmung des Bundestages einholen müssen, bevor sie deutsche Soldaten nach Somalia, für die Sicherung des Waffenembargos mit Kriegsschiffen an die Adria und in den Luftraum über Exjugoslawien schickte.

Erinnert sich daran jemand? Das Urteil aus Karlsruhe hat heute nur noch eine Bedeutung: Es erlaubt weltweite Einsätze deutscher Soldaten. Übrigens auch Kampfeinsätze. Die Begründung des Gerichts: „Eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Einsatzformen von Friedenstruppen verbietet sich, weil die Grenze zwischen den traditionellen Blauhelmeinsätzen und solchen mit der Befugnis zu bewaffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität fließend geworden sind.“

Nun werden also bewaffnete deutsche Bodentruppen im ehemaligen Bürgerkriegsgebiet stationiert. Sollten die Kämpfe dort neu ausbrechen, dann wird der Bundestag erlauben, daß auch deutsche Panzer rollen.

Im Rückblick war der Weg von der deutschen Sonderrolle, hergeleitet aus der blutigen Vergangenheit, zur „gewachsenen Verantwortung“, den neuen „deutschen Aufgaben in der Welt“, der „Normalität“ und der „Gleichberechtigung mit unseren Partnern“ erstaunlich kurz. Aber die Zeit drängte ja auch.

Nach dem Ende des Kalten Krieges geriet die Bundeswehr in eine Sinnkrise. Im Blick auf die Landesverteidigung gab und gibt es für die deutsche Armee nicht mehr viel zu tun. Für die Bundeswehr mußte eine neue Aufgabe her. Sie wurde gefunden. Sie wird das drittgrößte Kontingent der multinationalen Truppen in Bosnien stellen. Sie darf den Posten Chef des Stabes besetzen. Deutschland gehört wieder zu den führenden Militärmächten der Welt. Bettina Gaus