In Hamburg kam er nicht an. Der Schriftsteller Faradsch Sarkuhi verschwand im November in Teheran. Seine Frau vermutet, daß er als Faustpfand der iranischen Führung im Berliner "Mykonos"-Prozeß dienen soll. Sarkuhis Fall ist nicht der einzi

In Hamburg kam er nicht an. Der Schriftsteller Faradsch Sarkuhi verschwand im November in Teheran. Seine Frau vermutet, daß er als Faustpfand der iranischen Führung im Berliner „Mykonos“-Prozeß dienen soll. Sarkuhis Fall ist nicht der einzige

Die Geiselnahme von Teheran

Ihre Stimme klingt brüchig. Mühsam die Fassung bewahrend, sagt die zierliche, ganz in Schwarz gekleidete Frau: „Seit 40 Tagen ist mein Mann verschwunden.“ Der SPD-Bundestagsabgeordnete Freimut Duve berührt mitfühlend ihre Schulter. Faride Zerbadschad, die 41jährige Frau des iranischen Schriftstellers und Literaturkritikers Faradsch Sarkuhi, lächelt ob des Zuspruchs. Sie hat sich entschlossen, mit Hilfe einiger Bundestagsabgeordneter des Unterausschusses Menschenrechte, darunter neben Freimut Duve die Bündnisgrüne Amke Dietert-Scheuer und die FDP-Politikerin Irmgard Schwaetzer, die Öffentlichkeit zu suchen, um ihrem Mann zu helfen. Ein offener Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl, den sie gestern in Bonn vorstellte, soll helfen, den internationalen Druck auf die iranische Regierung zu verstärken. Denn daran, daß der Iran hinter dem Verschwinden ihres Mannes steckt, besteht kaum ein Zweifel.

Seit dem 3. November dieses Jahres fehlt von dem Chefredakteur der kritischen iranischen Literaturzeitschrift Adineh jegliche Spur. An dem Tag – seinem 49. Geburtstag – wollte er zu seiner Frau und seinen zwei Kindern nach Deutschland fliegen, die seit einem Jahr in Berlin leben und politisches Asyl genießen. Um 8.45 Uhr sollte er mit Flug 723 der Iran Air nach Hamburg starten. Doch dort ist er trotz Bordkarte für Sitz 35F nie angekommen.

Nach Informationen des US- amerikanischen PEN-Zentrums hatte Sarkuhi am Flughafen eine Verabredung mit einem ihm bekannten Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes Vevak. Obwohl Sarkuhi mehrmals signalisiert worden war, für ihn bestünde ein Ausreiseverbot, versprach der Agent Sarkuhi, persönlich dafür zu sorgen, „das nichts passiert“. Das könnte eine Falle gewsen sein. Nach Informationen des US-PEN, der den Namen des Vevak-Mannes mit „Haschemi“ angibt, kannte Sarkuhi seinen Rendezvouspartner persönlich: Der Geheimdienstler hatte ihn mindestens einmal verhört.

Eine Bekannte Sarkuhis, die ihn zum Flughafen begleitet hatte, bekam vom dortigen Personal eine Notiz zugesteckt, es gäbe Probleme mit Sarkuhis Paß. Dann erfuhr sie, der Schriftsteller würde einen Flug der Lufthansa am Abend nach Frankfurt nehmen. Kurz darauf hieß es, Sarkuhi habe doch noch den Flug nach Hamburg erwischt. An beiden deutschen Flughäfen warteten Bekannte auf den Literaten – vergeblich.

Obwohl es von Sarkuhi seitdem kein Lebenszeichen gibt, glaubt seine Frau, daß er noch lebt. Ihr Dolmetscher, Bahman Nirumand, einer der bekanntesten in Deutschland lebenden iranischen Regimekritiker, begründet diese Hoffnung damit, daß Sarkuhi offenbar als Faustpfand beim „Mykonos“-Prozeß dienen soll. In dem Prozeß um den Mord an vier oppositionellen iranischen Kurden in dem Berliner Restaurant „Mykonos“ im September 1992 wirft die Bundesanwaltschaft dem Iran Staatsterrorismus vor. Neben Geheimdienstminister Ali Fallahian sollen Staatspräsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani und Irans geistlicher Führer Ali Chamenei persönlich den Mordbefehl gegeben haben.

Nur im Zusammenhang mit dem „Mykonos“-Prozeß könne er sich erklären, daß der Iran Sarkuhi den „lächerlichen Vorwurf“ der Spionage für Deutschland gemacht habe, so Nirumand. Hintergrund ist ein Abendessen von sechs iranischen Schriftstellern in der Wohnung des Kulturreferenten der deutschen Botschaft in Teheran, Jens Gust, am 25. Juli dieses Jahres. Unter den Gästen war auch Sarkuhi. Wie der Lyriker Kameran Bozorgnia berichtete, sollen Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes Vevak hereingestürmt sein, den Kulturreferenten in ein Zimmer gesperrt und ein Video gedreht haben, in dem die Literaten als Spione dargestellt werden. Sarkuhi selbst hatte in einem jetzt bekanntgewordenen Brief an seine Frau vom 24. September vermutet, daß ihm mit „erfundenem belastendem Material“ der Prozeß gemacht werden könnte.

Über die Ereignisse in der Wohnung des deutschen Diplomaten schrieb Sarkuhi: „Sie kamen, namen uns fest und filmten den Tisch mit dem Abendessen. Es war freilich ein Fehler, zu jenem Fest zu gehen.“ Weiter heißt es: „Wir tappten leichtgläubig in die Falle. Eine Falle, die uns nicht betrifft. Aber wir werden zu ihren Opfern. Die Sache geht auf das ,Mykonos‘-Verfahren zurück.“ Mit dem Filmmaterial wolle die iranische Führung „uns gegen das ,Mykonos‘-Verfahren hinstellen und sozusagen als Gegenstück zu jenem Verfahren ein Verfahren gegen Deutschland veranstalten“.

Einige Sätze Sarkuhis lesen sich wie ein Abschied: „Wessen ich auch immer bezichtigt werde, und was auch immer passieren sollte, Du sollst wissen, daß ich unschuldig zum Opfer wurde. Zum Opfer einer Streitigkeit und einer Angelegenheit, welche mit mir nichts zu tun hat.“ Und zum Schluß: „Ich liebe Dich und die Kinder und hatte immer den Wunsch, für Euch ein guter Vater zu sein, was jedoch nicht gelang.“

Die iranischen Behörden äußern sich widersprüchlich zum Schicksal Sarkuhis. Amke Dietert- Scheuer berichtet, daß ihr drei verschiedene Versionen aufgetischt worden seien. Zuerst, daß Sarkuhi nach Deutschland geflogen sei. Dann, daß er aus Aachen in Teheran angerufen habe, um seine Weiterreise mit einer Geliebten in die Niederlande bekanntzugeben. Zuletzt, daß Sarkuhi in Teheran seiner Arbeit nachgehe und daß sie ihn dort besuchen könne. „Eine glatte Lüge“, wie die Politikerin nach einigen Telefonaten herausfand. Sie frage sich, „ob die irgend etwas vor einer Bundestagsabgeordneten konstruieren wollen, wenn ich hinfahren würde“.

Der in Paris lebende ehemalige iranische Präsident Abol Hassan Bani Sadr behauptet, daß Sarkuhi vom iranischen Geheimdienst in Teheran festgehalten werde. In den letzten Monaten häufen sich die Berichte von verschwundenen, möglicherweise vom iranischen Geheimdienst gefolterten und ermordeten Regimegegnern. Der Schriftsteller Tamer Sepour soll wie Sarkuhi auf dem Flughafen verschwunden sein. Mehdi Perham wurde angeblich in Teheran verschleppt. Am 12. November wurde der Schriftsteller Ghaffar Hosseini tot in seiner Wohnung aufgefunden. Seine Leiche soll deutliche Spuren schwerer Schläge aufgewiesen haben, wie der US- PEN berichtet.

Die Abgeordneten Schwaetzer, Dietert-Scheuer und Duve setzen sich für ein härteres Vorgehen der Bundesregierung gegenüber dem Iran ein. Amke Dietert-Scheuer hält ebenso wie Irmgard Schwaetzer ein Einfrieren der Hermes- Bürgschaften für eine geeignete Maßnahme. Freimut Duve möchte noch nicht so weit gehen, erinnert aber daran, daß der Iran mit 15 Milliarden Mark der zweitgrößte Schuldner Deutschlands sei. Die Bundesregierung solle daher konsequent auf die Rückzahlung der Schulden bestehen. Der von der Bundesregierung vielbeschworene kritische Dialog mit dem Iran habe sich als unmöglich erwiesen, denn, so Duve: „Es handelt sich nicht um einen religiösen Staat, sondern ein autoritäres Machtregime unter permanentem Mißbrauch der Religion.“ Markus Franz/Thomas Dreger