Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

Ich bin seit einem Jahr in Deutschland und lebe als anerkannter politischer Flüchtling mit meinen beiden Kindern in Berlin.

Am 3. November 1996 wollte mein Mann, Faradsch Sarkuhi, aus dem Iran ausreisen, um mich und die Kinder zu besuchen. Deshalb war er am Teheraner Flughafen. Er ist jedoch nie in Deutschland angekommen. Alles spricht dafür, daß er durch den iranischen Geheimdienst verhaftet wurde.

In den letzten Monaten sind iranische Intellektuelle zunehmend unter Druck geraten. Das betrifft vor allem diejenigen unter ihnen, die im Sommer an einem Abendessen des Kulturreferenten der deutschen Botschaft in Teheran teilnahmen. Zu ihnen gehörte auch mein Mann Faradsch Sarkuhi, der Chefredakteur der Literaturzeitschrift Adineh und Literaturkritiker ist.

Die Schriftsteller – unter ihnen auch mein Mann – wurden in der Wohnung des deutschen Kulturreferenten festgenommen, sie wurden verhört, bedroht und beleidigt. Den Intellektuellen wird zu Unrecht Spionage für Deutschland vorgeworfen. Darauf steht im Iran die Todesstrafe. Die Todesdrohung gegen meinen Mann durch iranische Geheimdienstbeamte wurde unter anderem auch von dem zur Zeit in Deutschland lebenden iranischen Lyriker Kameran Bozorgnia bezeugt.

Huschang Golschiri, ein international bekannter Schriftsteller, der ebenfalls an dem Abendessen bei dem Kulturreferenten teilgenommen hatte, wurde zweimal an der Ausreise aus dem Iran gehindert.

Ich habe mich seit der Verhaftung meines Mannes an verschiedene Menschenrechtsorganisationen gewandt. Aber solange die iranische Regierung die Verantwortung für die Verhaftung meines Mannes ablehnt, kann ich kaum darauf hoffen, daß die Forderung der Menschenrechtsorganisationen nach seiner sofortigen Freilassung erfüllt wird.

Deshalb wende ich mich an Sie!

Sie haben mit anderen europäischen Regierungschefs für einen „kritischen Dialog“ mit dem Iran plädiert. Ihre Begründung war unter anderem, Sie könnten durch einen solchen Dialog die iranische Regierung dazu bewegen, die Menschenrechte zu respektieren.

Ganz offensichtlich liegt hier eine gravierende Menschenrechtsverletzung vor!

Ich befürchte, daß er als Geisel, als Verhandlungsmasse im Iran festgehalten wird, um einen Ausgang des „Mykonos“-Prozesses zu erreichen, der für die iranische Regierung zufriedenstellend ist. Mein Mann hat diese Befürchtung schon vor zwei Monaten in einem Brief an mich geäußert, dessen Übersetzung beiliegt.

Ich habe mich mit diesen Informationen zurückgehalten, weil ich hoffte, daß mein Mann durch den internationalen Druck möglicherweise freigelassen würde. Ich wollte sein Leben nicht zusätzlich in Gefahr bringen. Nun habe ich mich schweren Herzens doch entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen, um die internationalen Medien über die wahren Hintergründe seines „Verschwindens“ zu informieren. Ich möchte die Medien sensibilisieren und den Gerüchten entgegentreten, daß Faradsch Sarkuhi sich doch in Europa aufhält. Ich bitte Sie als Bundeskanzler um alle Maßnahmen, die Sie ergreifen können, um sein Leben zu retten.

Für Ihre Bemühungen bedanke ich mich im voraus.

Hochachtungsvoll

Faride Zebardschad