"Die Mehrheit heißt Rot-Rot-Grün"

■ Harald Wolf, Fraktionsvorsitzender der PDS, plädiert vorerst für eine taktische Zurückhaltung seiner Partei bei einer Regierungsbildung 1999. Seine Befürchtung: Gegenmobilisierung von rechts und Zerreißpr

taz: Die PDS ist wild entschlossen, 1999 mitzuregieren. Ist damit nicht eine doppelte Rechnung ohne die Wirte SPD und Bündnisgrüne gemacht?

Harald Wolf: Nein, wir haben in Berlin eine doppelt komplizierte Situation. Einmal insofern, als die drei Parteien links von der CDU 1999 möglicherweise mehr oder weniger gleich stark sein werden und die beiden Parteien links von der SPD zusammen deutlich stärker sind als die SPD. Das ist eine völlig neue Konstellation. Das zweite ist das ganz gravierende Akzeptanzproblem auf seiten der SPD im Westteil, teilweise auch im Ostteil. Es ist völlig richtig, wenn Wolfgang Wieland von den Bündnisgrünen sagt, daß Berlin nicht Magdeburg sei. Das ist das große strategische Problem, vor dem alle drei Parteien stehen, wenn es um einen Regierungswechsel geht. Ich glaube, was nicht geht, sind solche Geschichten wie sie 1989 Walter Momper (SPD) gemacht hat. Daß man unmittelbar vor oder gar in den Koalitionsverhandlungen bei den Grünen noch mal vier Essentials abgefragt hat, ob man sich zum Gewaltmonopol des Staates, zu den Alliierten und was es damals alles war, bekennt. Über solche Bekenntnisse wird man keine gesellschaftliche Akzeptanz herstellen können. Das ist die Frage eines gesellschaftlichen Prozesses, den man langfristig anschieben muß.

Also trotzdem Rot-Rot-Grün unter anderen Voraussetzungen?

Die Mehrheitskonstellation ist klar, die heißt Rot-Rot-Grün. Die Frage ist, in welcher Form. Ob die PDS selbst Bestandteil der Regierungskonstellation ist oder ob sie tolerierender Bestandteil einer parlamentarischen Mehrheit ist, die eine Regierung stützt. Es würde der SPD ermöglichen, auch größere Distanz gegenüber der PDS aufzuweisen, so wie Reinhard Höppner das ja auch in Magdeburg gemacht hat. Man muß darüber nachdenken, ob nicht eine solch weniger enge Verbindung größere Handlungsspielräume für alle Beteiligten hätte. Und nicht auch realistischer ist als eine Koalition, die sofort auf eine ganz massive Gegenmobilisierung hinauslaufen würde. Und für die SPD mit einer großen inneren Zerreißprobe nicht nur in der Partei, sondern auch in der Wählerschaft verbunden wäre.

Das ist also ein taktisches Moment, eigentlich wäre Ihre Option doch, mitzuregieren ...

Das läßt sich nicht so einfach trennen. Es ist die Frage in welcher Konstellation die eigenen politischen Ziele am besten umzusetzen sind. Das taktische Moment läßt sich aber von dem Inhalt nicht trennen. Eine Regierung, die ein ganz erhebliches Akzeptanzproblem hat und deren wichtiger Bestandteil – also die SPD – permanent unter politischem Druck innerhalb der eigenen Wählerschaft, innerhalb der eigenen Partei steht, und nicht handlungsfähig ist, ist auch nicht durchsetzungsfähig.

Aber das Akzeptanzproblem liegt doch nicht nur in der SPD. In Ihrer eigenen Partei gehen die Meinungen dazu doch auch weit auseinander ...

Nein, innerhalb der PDS gibt es eine große und klare Mehrheit für eine Reformkonstellation auch in der Landespartei. Über diese Frage wird es in unserer Partei keine großen Friktionen geben. Die Frage ist eher, ob es gelingt, bis dahin in der Partei insgesamt realisierbare politische Projekte zu verankern. Das ist die eigentlich schwierige Aufgabe und nicht das allgemeine Bekenntnis, daß man für einen Regierungswechsel ist.

Aber es gibt doch die Trennung zwischen der Fraktion im Abgeordnetenhaus und der Basis, die von einem pragmatischen Kurs weit entfernt ist. Wo hat denn die Landespartei ihr Profil außer in der Veranstaltung der Luxemburg/Liebknecht-Demonstration?

Vielleicht nehmen auf Parteitagen die identitätsstiftenden Punkte einen größeren Raum ein, als ihnen im Verhältnis zu anderen Fragen gebührt. Aber es gibt über die Abgeordnetenhausfraktion hinaus zahlreiche reformorientierte und sachkompetente Leute in den Bezirksämtern, Bezirksverordnetenversammlungen, Verbänden und Initiativen. Manchmal ist da eher zu viel Pragmatismus.

Was sind die Eckpfeiler der PDS für gesellschaftliche Bündnisse?

Als großes Leitthema wollen wir zu einer radikalen Umorientierung der Stadtentwicklungspolitik im weitesten Sinne kommen: alle Ressourcen sind jetzt konzentriert auf die rasche Entwicklung der Metropole. Wir stehen für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Dazu gehören auch die Umorientierung in der Verkehrspolitik, die Wohnungspolitik, die Stärkung der sozialen Infrastruktur. Und in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik heißt das für uns von der Orientierung auf äußere Faktoren zur Stärkung regionaler Kreisläufe zu kommen und Potentiale, die innerhalb der Stadt existieren zu stärken.

Und vor allem eins: Ein Projekt der reformpolitischen Umorientierung der Stadt muß für die Leute faßbar werden – darin sind wir und sind auch die Grünen derzeit schwach. So wie 1989 eine Idee existiert hat von ökologischem Stadtumbau, so etwas muß wieder her.

Das hört sich alles nach bündnisgrüner Politik an. Aber warum sollten die Leute dann die PDS wählen? Gehen die WählerInnen nicht dann besser gleich zu den Grünen?

Es ist doch nicht die Aufgabe von Grünen oder der PDS, jeweils das Rad neu zu erfinden. Außerdem gibt es ja noch eine Reihe von Unterschieden. Die Grünen sind im wesentlichen eine Westpartei, die PDS eine Ostpartei. Die Milieus sind nicht einfach zu versöhnen und aufzulösen. Und der große Vorteil der PDS ist, daß die PDS mit ihren Position ganz andere gesellschaftliche Gruppierungen erreicht, als die Grünen im Westen. Wir streiten uns da mit einem relevanten Teil unserer Wählerschaft zum Beispiel über Ausländerpolitik und Verkehrsfragen. Damit erreichen wir Schichten, die die Grünen nie erreichen könnten. Wir können dort für gesellschaftliche Reformen werben. Das ist ein unschätzbarer Vorteil der PDS. Interview: Barbara Junge