Das größte Warenhaus für Altelektronik

In Paderborn wurde für 100 Millionen Mark das bislang erste Computermuseum der Welt eingerichtet. Trotzdem findet sich in der Provinz kaum Publikum für die Produktgeschichte der Rechenmaschinen aus dem Hause Nixdorf  ■ Von Werner Graf

Anders als in den Metropolen Berlin und Frankfurt bleibt in einer Stadt wie Paderborn der Kulturetat ungeschmälert. Freilich könnte behauptet werden, daß an der Kultur nur deshalb nicht gespart werde, weil in diesem Bereich nichts zu holen sei. Und tatsächlich rangiert Paderborn auf einem der letzten Plätze jener Tabelle (Gruppe: Großstadt) der Kulturausgaben pro Kopf der Bevölkerung. Doch es soll nicht über die Ödnis der kulturellen Mindestausstattung (Volkshochschule, Stadtbücherei, Galerie, Stadtarchiv, Kammerspiele, Heimatmuseum, PaderHalle usw.) räsoniert werden – es geht ohnehin kaum jemand hin –, denn jetzt wurde für 100 Millionen Mark ein Computermuseum eingerichtet. In der Provinz wird also sozusagen antizyklisch im großen Stil in Kultur investiert!

Bereits in der Planungsphase wurde auf die Pauke gehauen: 150.000 Besucher pro Jahr werden erwartet. Einmalig in der Welt sei das Computermuseum! In der Provinz(kultur)politik liebt man Superlative. So ist im Diözesanmuseum die „älteste Holzmadonna nördlich der Alpen zu besichtigen“, die Pader wird als „kürzester Fluß“ Deutschlands gepriesen, und Heinz Nixdorf war einer der erfolgreichsten Unternehmer der Nachkriegszeit. Und nun dieses Museum! Da macht es Sinn, daß der dienstälteste Kanzler der Republik, der vor Jahren mit Heinz Nixdorf zusammen das bevölkerungsreichste Land der Welt mit der längsten Mauer besuchte, zur Eröffnung nach Paderborn kam und zur höchsten Bedeutung der Informationstechnologie für den Standort Deutschland referierte.

Kommunale Kulturpolitik steckt voller Verlegenheiten. Es wird – unvermeidlicherweise – etwas von außen eingekauft, ein Gastspiel, eine neue Intendantin, eine Wanderausstellung: So erscheint Kultur als etwas, das es vor allem anderswo gibt, das nur mal auf Besuch vorbeikommt. Einheimisches steht immer unter dem Vorurteil des Provinziellen. Bezeichnenderweise „entdeckten“ viele den Paderborner Kabarettisten Erwin Grosche erst, nachdem er im Fernsehen aufgetreten war.

Andererseits gibt es eine Fraktion, die nur Hausgemachtes schätzt. Die katholische Kirche stellt das Modell eines Liborius von einem katholischen Künstler vor. Die CDU-Mehrheit spendiert aus der Stadtkasse den Sockel. Die Grünen lachen, weil die stilisierte Figur einem Riesenphallus gleicht. Der fromme Urheber hört davon, und stattet seinen Liborius nachträglich mit großen Ohren aus. So steht er nun mit „überarbeiteter Silhouette“ im öffentlichen Raum: Kulturpolitik als Verlegenheit.

Das Computermuseum wurde der Kommune von privaten Geldgebern angeboten. Die Stiftung Westfalen, der Heinz Nixdorf einen großen Teil seines Vermögens vermacht hat, ließ „in seinem Sinn“ einen Plan entwickeln und ihn durch einen Professor im Kulturausschuß und im Stadtrat vorstellen, mit der bescheidenen Bitte um eine angemessene Beteiligung an den Betriebskosten. So wurde die Politik an der privaten Kulturpolitik bescheiden, aber kaum angemessen beteiligt. Die CDU war ohnehin bedingungslos begeistert. Die Opposition formulierte einige Wünsche: kein reines Technikmuseum, Berücksichtigung der mentalitäts- und sozialgeschichtlichen Auswirkungen. Speziell wurde das Problem der strukturellen Arbeitslosigkeit und die Computerspielbegeisterung der (männlichen) Jugend angesprochen. Die Berücksichtigung dieser Aspekte wurde als selbstverständlich zugesagt. Ein jährlicher Zuschuß von 750.000 Mark wurde bewilligt. Zum Vergleich: Für den gesamten Kunstankauf waren im laufenden Jahr 30.000 Mark vorgesehen, im nächsten Haushalt soll die Position ersatzlos gestrichen werden.

Gerätezauber hinter Glas

Auf zwei ausgedehnten Ausstellungsebenen bewegt sich der Besucher nun im Kreis, es dominiert das Abgerundete. Zu sehen sind unzählige industriell gefertigte Exponate. Hunderte Schreibmaschinen, Telefone und selbstredend Computer. Am deutlichsten wird das Prinzip durch eine schaufensterartige Vitrine demonstriert, in die circa tausend veraltete Taschenrechner hineingepackt wurden. Entstanden ist, selbstverständlich professionell arrangiert, eine produktgeschichtliche Ausstellung, die sogar den Anspruch eines Technikmuseums unterschreitet. Unbeabsichtigt drängt sich der Gedanke an Massenproduktion und angesichts der funktionslos gewordenen Geräte an die ungelöste Entsorgungsfrage für Elektronikmüll auf: die Gerätesammlung erscheint als herauspoliertes Zwischenlager.

Das Konzept von Professor Thürmer, das als Vorgabe an die Ausstellungsbauer und Werbeagenturen diente, führt „Von der Keilschrift zum Computer“. Damit unterstellt es historische Kontinuität und Zwangsläufigkeit der technischen Entwicklung, als ob nicht gerade die Geschichte des Computers geprägt wäre von Zufällen, Individualitäten, von industriellen und ganz gravierend von politisch- militärischen Entscheidungen. Überhaupt ist der gesamte Komplex Militär und Computer stillschweigend weggelassen worden, so als ob sich die Computertechnologie aus der Bürotechnik ergeben hätte. Dabei hätte ja durchaus darauf hingewiesen werden können, daß Heinz Nixdorf für seinen Konzern auf Rüstungsaufträge verzichtete, was man freilich vom heutigen Eigentümer Siemens nicht sagen kann. Bedenklicher als solche Lücken ist die Rückwärtsgewandtheit der Gesamtkonzeption, weil sie – und das beim Thema Computer! – die Möglichkeiten der Gegenwart und Zukunft entwertet, so als ob der Kassenautomat von Siemens-Nixdorf das Telos der Geschichte wäre!

Neben der Produktpräsentation ist als zweiter Schwerpunkt eine sogenannte „Galerie der Pioniere“ aufgebaut, eine etwas willkürliche Auswahl von Pascal bis Nixdorf. Der an die gerundete Wand tapezierte historische Hintergrund von Ludwig XIV. bis Helmut Kohl (der anscheinend erst auf Intervention nachgeklebt wurde) wirkt, als habe jemand gelangweilt im Mittelstufenband „Lebendige Vergangenheit“ geblättert. Unangebracht ist das Prinzip der Ruhmeshalle, also die Nähe zu Personifizierung, wenn nicht Personenkult, weil es die scheinbar Herausgehobenen in Wirklichkeit reduziert: Als ob Leibniz bedeutend wäre, weil er in die Vorgeschichte des Computers eingereiht werden kann. Hier wird Tradition geborgt und gebogen, um die nicht so tolle Gegenwart aufzumotzen.

Die durchsichtige Absicht, Heinz Nixdorf, dem das Museum gewidmet ist, durch eine Ahnengalerie bedeutender Geister zu erhöhen, wendet sich gegen ihn, er wird unbeabsichtigt vorgeführt, weil seine Lebens- und Firmengeschichte bloß noch auf einige Fakten und ein unpassendes Schema verkürzt wird. (Peinlicherweise ist seine Ahnentafel aus dem Jahre 1939, also sein Ariernachweis, ausgestellt.) Nicht einmal ansatzweise wird herausgearbeitet, wofür diese Lebensgeschichte und das Lebenswerk steht: Die exemplarische Biographie des Wirtschaftswunders wurde verschenkt, das Spezifische (meinetwegen: Pionierhafte) des Aufbaus eines Computerkonzerns wird nicht herausgestellt, und das Generationstypische im Sinn von Heinz Budes „Deutsche Karrieren“ wird völlig übersehen. Statt dessen sind am Bildschirm einige Anekdoten zur Person abrufbar.

Dem Willen zur Werbung ist wohl der Verzicht auf Sozialgeschichte und die Glättung der Gegenwart geschuldet. Die Krise der Computerindustrie fehlt ganz, obwohl doch für das Museum das Gebäude der ehemaligen Hauptverwaltung der Nixdorf Computer AG genutzt wird. Frappierend ist das Tempo des Funktionswandels von der Firmenzentrale in ein Museum, wahrscheinlich ging es zu schnell für die nötige geistige Distanz, ohne die Kultur nicht zu haben ist. Dafür gibt es aber Computerspiele für die Kinder – kostenlos.

Kulturpolitik in der Provinz, zumal unter dem Einfluß von Sponsoren, gerät zu Public Relations. Damit straft sie sich jedoch selbst; denn ihre Produkte werden gefällig und doch aufdringlich. Das hochgejubelte Haus der Superlative droht ein Publikumsflop zu werden. Auf 5.000 qm sichtete ich noch vier weitere zahlende Besucher sowie eine zwangsvorgeführte Schulklasse. Doch vielleicht sagt man so: Weltweit die größte Ausstellungsfläche pro Besucher. Die Werbeabteilung wird sich etwas einfallen lassen.

Einen Katalog gibt es nicht, aber ein Video.