Selig sind die, die arm an Geist sind

Denn ihrer ist die Europäische Währungsunion: Der EU-Gipfel in Dublin einigt sich darauf, daß der Zauber der Währungsstabilität die Massenarbeitslosigkeit in Europa verjagen soll  ■ Aus Dublin Alois Berger

Nachdem der Stabilitätspakt für die europäische Währungsunion fertig ist, bekämpfen die Staats- und Regierungschef der EU nun entschlossen die Arbeitslosigkeit und gehen dem organisierten Verbrechen an den Kragen. So steht das jedenfalls in der Schlußerklärung, mit der die 15 EU-Regenten ihr Gipfeltreffen im Schloß von Dublin am Samstag beendeten.

Zuvor hatten sich Bundeskanzler Helmut Kohl und Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac auf einen Kompromiß zur Währungsunion geeinigt. Damit der Euro wirklich hart wird, wollte die Bundesregierung automatische Sanktionen gegen solche Euro-Mitglieder einführen, deren Haushaltsdefizit die Marke von drei Prozent des Bruttosozialprodukts überschreitet. Frankreich dagegen wollte sich auf gar keinen Fall auf alle Ewigkeit eine Sparpolitik vorschreiben lassen. Das Ergebnis ist, daß es nun bei einer Überschreitung des Schuldenlimits automatisch zu einem Verfahren gegen den betreffenden Staat kommt, an dessen Ende eine Milliardenstrafe aber nur fällig sein kann – und nicht muß. Die Entscheidung darüber treffen die EU-Finanzminister gemeinsam. Kein Verfahren gibt es, wenn die Überschreitung der Schuldengrenze durch einen Wirtschaftseinbruch von mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verursacht wurde. Schon bei 0,75 Prozent können die Finanzminister überlegen, ob sie das Strafverfahren aussetzen.

Stabilitätspakt wird kein deutsches „Fallbeil“

Über die Zahlen wurde herzlich gestritten. Bundesfinanzminister Waigel hätte es gern schärfer gehabt. Sein Staatssekretär Jürgen Stark forderte „fallbeilartige“ Sanktionen. Doch dazu ist es nicht gekommen, weil Kohl den Streit aus der Welt haben wollte, und das Finanzministerium da klein beizugeben hat. Die anderen Regierungschefs verfolgten diese Auseinandersetzung teils amüsiert, teils genervt. Der Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und Währungsstabilität ist ohnehin nicht eindeutig. Irgendwann muß das auch Kohl gemerkt haben.

Die Freude über den Kompromiß war um so größer, als am gleichen Nachmittag in der irischen Zentralbank gegenüber dem Tagungsort auch die neuen Euro- Banknoten vorgestellt wurden: Bunte Scheine, bedruckt mit Brücken, Fenstern und Portalen aus der europäischen Architekturgeschichte. Damit sich kein Land ausgeschlossen fühlt, sind weder berühmte Persönlichkeiten noch bekannte Bauwerke zu erkennen. Die technischen Probleme der Währungsunion sind damit weitgehend gelöst. Jetzt muß nur noch die Bevölkerung überzeugt werden.

Vor allem Helmut Kohl ist der Meinung, daß die BürgerInnen nur über eine gemeinsame Verbrechensbekämpfung für Europa zurückzugewinnen sind. Die seit neun Monaten regelmäßig tagende Regierungskonferenz, die einen neuen Europavertrag vorbereitet, soll sich deshalb in den verbleibenden sechs Monaten besonders um Innen- und Justizpolitik kümmern. Das haben die Regierungschefs in Dublin ausdrücklich gesagt.

Und weil die Regierungskonferenz die EU nicht nur handlungsfähiger machen, sondern auch für die Aufnahme neuer Mitglieder vorbereiten soll, fordern Kohl und andere Regierungschefs eine Ausweitung der Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen. Denn solange in Innen- und Außenpolitik stets Einstimmigkeit für die Herbeiführung eines EU-Beschlusses notwendig ist, würde jede Erweiterung nach Überzeugung vieler Regierungschefs zur Lähmung führen. „Der bisherige Verlauf der Konferenz vermittelt nicht den Eindruck, daß sich alle Beteiligten über den Zusammenhang klar sind“, schimpfte der Präsident des Europaparlaments, Klaus Hänsch, in Dublin. Denn vor allem Großbritannien und Dänemark finden, daß die innere Sicherheit nationale Aufgabe bleiben soll.

Nur nichts tun – das könnte ja Geld kosten

Aus der Umgebung des Bundeskanzlers sickerte durch, daß Kohl selbst nicht mehr an einen raschen Erfolg glaubt. Kohl hat sich offensichtlich wieder auf die europäische Polizeibehörde „Europol“ konzentriert. Wenn die erst einmal eigene Polizisten losschickt, würden auch die Bürger sehen, wie nützlich die EU sein kann.

Sozialdemokratische Regierungschefs halten eher die Arbeitslosigkeit für das Problem, das den Menschen auf den Nägeln brennt. Doch konservative Regierungen fürchten eine europäische Beschäftigungspolitik wie der Teufel das Weihwasser. Möglicherweise würde das ja Geld kosten. In Dublin einigten sich die EU-Chefs also auf ein Papier, das die Arbeitslosigkeit als ein echtes Problem definiert. Das Dokument fordert alle Regierungen auf, in ihrer bisherigen Politik konsequent fortzufahren. Zwischen den Zeilen steht die Hoffnung, daß Sparpolitik und stabiles Geld irgendwann auch die Arbeitslosigkeit beseitigen.

EU-Parlamentspräsident Klaus Hänsch erinnerte daran, daß die EU jedes Jahr zwei Milliarden Mark für die Subventionierung des Tabakanbaus ausgebe. Die vom Parlament geforderten zwei Milliarden als Anschubfinanzierung für die arbeitsintensiven transeuropäischen Verkehrsnetze aber hätten sie abgelehnt. Seine Frage: „Sind wir eigentlich arm an Geld oder arm an Geist?“

Immerhin: Der EU-Gipfel in Dublin gab Hunderten zusätzlichen Sicherheitskräften fünf Tage Arbeit. „Ich brauche das Geld zum Leben“, sagte einer, der sonst Bauer ist. „Die Agrarpolitik der EU hat uns arm gemacht.“