„Was jetzt erzählt wird, ist doch alles Quatsch“

■ Thomas Dietz, Betriebsingenieur auf der Hamburger Lufthansa Werft, bezweifelt die Version vom Funken, der den TWA-Jumbo zur Explosion gebracht haben soll

taz: Der Zentraltank des TWA- Jumbos soll explodiert sein, weil eine statisch aufgeladene Leitung Funken geschlagen hat. Wie wahrscheinlich ist diese Version?

Thomas Dietz: Das ist unwahrscheinlich. Ich glaube das nicht.

Warum nicht?

So ein Tank explodiert nicht so einfach, denn Kerosin an sich brennt nicht. Kippen Sie mal Kerosin in einen Eimer und werfen Sie ein Streichholz hinein. Das brennt nicht. Was brennen kann, ist ein Luft-Kerosin-Gemisch.

Und wie kann das entstehen?

Da müssen mehrere Zufälle zusammenkommen. Zunächst einmal darf der Tank nicht voll und nicht leer gewesen sein. Ganz voll oder ganz leer – das ist am ungefährlichsten, denn dann kann sich nichts vermischen. Anders ist es, wenn der Tank halb voll ist. Ein Jumbo, der von New York nach Paris fliegt, hat etwa 130 Tonnen Kerosin im Tank. Bei einer maximalen Tankkapazität von 170 Tonnen waren also etwa 40 Tonnen Freiraum. Aber ob der allein im Zentraltank war, ist fraglich.

Entsteht denn in jedem halbleeren Tank gleich so ein explosives Gemisch?

Nein. Da muß erst mal die Tankbelüftung ausfallen. Auch das ist ziemlich unwahrscheinlich, denn die wird in der Regel gut gewartet.

Angenommen, der Tank war halb voll und die Lüftung war defekt.

Dann muß es erst mal warm werden. Die Amerikaner haben ja gesagt, daß sich das Luft-Kerosin- Gemisch unter Wärmeeinwirkung gebildet haben soll. Aber wie soll so ein Tank denn warm werden? Der ist fast an der Außenhaut der Maschine, da herrschen im Flugbetrieb Temperaturen von bis zu minus 52 Grad. In der Nachbarschaft des Zentraltanks liegen die Frachträume, und die werden auch nicht besonders geheizt. Die Maschine müßte mindestens 24 Stunden in der prallen Sonne gestanden haben, damit es im Tankbereich warm genug hätte werden können. Und auch das ist bei einem Jumbo sehr unwahrscheinlich. Außerdem ist der Jumbo ja in der Luft explodiert, da war der Tank durch die Außentemperatur schon wieder abgekühlt.

Okay, aber wenn das jetzt doch alles passiert wäre – erklärte das die Explosion?

Nein, natürlich nicht. Keine Explosion ohne Zündung.

Da sagen die Amerikaner, die Tankleitungen hätten sich statisch aufgeladen, wodurch es zu einem Funkenbogen gekommen wäre.

Das ist rein theoretisch möglich. Aber: Die Tankleitungen sind aus Aluminium, die an ihren Verbindungsstücken innen mit einer Dichtung isoliert sind. Diese Dichtungsringe sind aus Gummi – da kann sich also nichts aufladen. Selbst wenn so ein Ring porös wird und sich dadurch die Isolierung löst, gibt es noch eine Erdung. Die Rohre könnten sich dann zwar statisch aufladen, aber der Strom würde abgeleitet werden.

Wo könnte denn ein Funke entspringen?

Eigentlich nur an der Treibstoffpumpe, aber das ist auch unwahrscheinlich. Die wird gut gewartet und ist außerdem auch geerdet.

Was hat denn Ihrer Meinung nach zu der Explosion geführt?

Zuerst dachte ich, klare Sache, die Außenhaut ist gerissen. Wenn in der Take-off-Phase ein Defekt an der Außenhaut auftritt, dann macht es bumm. Bei 25 Jahre alten Jumbos wäre das denkbar, da wird die Hülle müde. Aber dann hat mich irritiert, daß alle Fundstücke der Außenhaut, die sie aus dem Meer gefischt haben, nach innen gebogen waren – und das spricht ja nun nicht für eine Explosion.

Sondern?

Ich weiß es nicht. Aber die Idee mit der Rakete halte ich für ein Märchen der Medien. Ich denke, die Explosion ist auf die mangelnde Wartung durch TWA zurückzuführen.

Wird man denn jemals die Ursache des Absturzes herausfinden?

Ich halte das für sehr unwahrscheinlich. Aber was jetzt erzählt wird, ist doch alles Quatsch. Interview: Florian Gless