Die Wucht der Bilder

■ Turbulente Diskussion der Wehrmachtsausstellung am Sonntag im Theater am Goetheplatz

Ein großes Schauspiel im großen Haus am Goetheplatz. Man gibt ein Kammerspiel für sieben männliche Hauptdarsteller. Wir schreiben den dritten Adventssonntag. In viereinhalb Monaten soll die Ausstellung „Vernichtungskrieg - Die Verbrechen der Wehrmacht“ in der Hansestadt gezeigt werden. Doch schon jetzt ist die Stimmung im Parkett und auf den voll besetzten Rängen gereizt. Man fragt: „Wohin mit der Ausstellung?“ Ins Rathaus? Oder in den Orkus? Die Spannung steigt. Ein Drama bahnt sich an. Und eine Tragödie. Und ein rührender Schluß.

Prolog

Auftritt die zweiköpfige Bremer Friedensbewegung und entrollt in einer machtvollen Demonstration ein Transparent: „Die Ausstellung gehört ins Rathaus“. Das Publikum erregt und spaltet sich erstmals. Tosender Beifall hier, Buhrufe aus Alt-Männerkehlen da. Die „Arbeitsgemeinschaft für Kameradenwerke und Traditionsverbände e.V.“ hat mobil gemacht. Die noch immer streitlustige Nachkriegsgeneration hält dagegen.

1. Akt: Säbelrasseln

„Ein gutes Kapitel bremischer Liberalität“ möchte Bürgermeister Henning Scherf (SPD) aufschlagen. Doch daraus wird zunächst nichts. Der im Lauf des Abends zu Hochform auflaufende Moderator Michael Geyer (Buten & Binnen) fragt: „Herr Proske, Sie waren bei der Luftwaffe?“ Darauf Proske, Rüdiger, Journalist im Ruhestand, Ausstellungsgegner und Held: „Ich bin über London abgeschossen worden – es ist mir gelungen, den Funker zu retten. Das war für mich eine große Genugtuung. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.“ Redsamer Michael Wolffsohn von der Münchener Bundeswehrhochschule: „Daß Alfred Hrdlicka hier auf dem Podium sitzt, ist für mich als Historiker und Jude eine unerträgliche Zumutung.“ Hrdlicka hatte Wolf Biermann nach einer Attacke gegen Stefan Heym und Gregor Gysi die Nürnberger Rassengesetze an den Hals gewünscht. Der Bildhauer gibt sich auch jetzt unverdrossen: „Nach den Nürnberger Geseetzen hoab' ich zwoa Juden gegen oinen in Schuutz g'nommen.“ Wie es hieß, hatten sich Wolffsohn und Hrdlicka vorher noch freundlich händeschüttelnd begrüßt. It's showtime.

2. Akt: Zur Sache

Die Meinungen prallen aufeinander. Proske: „Die Ausstellung macht das Schlimmste – statt zu lügen, sagt sie nur die halbe Wahrheit.“ Beifall von den VeteranInnen. Das gleiche Echo für den Bremer CDU-Chef Bernd Neumann, der sich dem Vernehmen nach gegen die Einladung des Bündnisgrünen Hermann Kuhn verwehrte und die Schau nach eigenen Angaben in Linz gesehen hat: „Sie widerspricht der historischen Seriosität.“ Vom Fälschungsvorwurf ist keine Rede mehr. Statt dessen rügt er die Pauschalierungen im Katalog, reckt sich und schmettert: „Das kann ich auf der Generation meines Vaters nicht sitzen lassen.“

Zum Thema vollführt Michael Wolffsohn einen kühnen Spagat. „Die Verbrechen der Wehrmacht sind nicht zu bestreiten“, sagt er, doch nicht alle 18 bis 20 Millionen Soldaten hätten sich schuldig gemacht. Die einzige Organisation, die nach dem Krieg „jeden individuell geröntgt“ habe, sei die Bundeswehr, glaubt er und erklärt sich das Echo auf die Ausstellung damit, daß es der Historiker-Zunft nicht gelungen sei, die Öffentlichkeit richtig zu informieren. Der seelenruhige und nachdenkliche Zeit-Redakteur Karl-Heinz Janssen weiß eine Antwort: „Die Wucht der Bilder erreicht, was die ganzen guten Bücher bisher nicht bewegt haben.“ Womit Rüdiger Proske wiederum nicht einverstanden ist. Der Bildinhalt werde nicht erklärt. „Vielleicht handelt es sich bei den Erschießungsszenen ja um den Vollzug eines Völkerrechts, das wir nicht kennen“, orakelt er.

Viele hatten von Henning Scherf ein klares Bekenntnis für den Ausstellungsort Rathaus erwartet. Doch der gibt sich ganz als Landesvater. Er hofft, daß diese bremische Gesellschaft die Kraft hat, den Konflikt – im Rathaus? im Rathaus! – auszuhalten und kündigt eine Konsensfindung an. Kein Beifall. Dafür aber eine Versöhnungsszene. Proske, seit 28 Jahren SPD-Mitglied: „Herr Bürgermeister, ich hoffe, daß Ihnen das gelingt.“

Schlußakt: Zärtlichkeiten

Nur noch Bernd Neumann quengelt: „Herr Geyer, ich kann mir denken, daß Sie aufgrund Ihrer politischen Gesinnung jede zweite Frage an Janssen stellen, aber...“ Darauf Geyer: „Herr Neumann, das ist nicht sehr souverän.“ Donnernder Beifall. Fast unbemerkt beugt sich Scherf zu Neumann und streichelt ihm sacht die Schulter. Eine Männerfreundschaft. Ein schönes Bild. Vorhang. Christoph Köster