Abgeräumt und nicht wieder hingestellt

Weihnachtsmarkt: Ein muffig dampfender Mob schiebt sich an Buden für Jahresendzeitbedarf entlang  ■ Von Fritz Eckenga

Der Dezemberregen sollte und wollte nicht enden. Schon seit Tagen schüttete er auf die Stadt hinunter und ließ alles quellen. Die Grünanlagen waren längst zu Braunanlagen geworden. Falsch gelandetes Vögelgetier und allzu kleinwüchsige Hunde konnten der tödlichen Falle nicht entrinnen. Ihr klägliches letztes Zirpen und matschendes Jengeln wurde verschluckt vom tosenden Prasseln handgranatengroßer Regentropfen. In den ehemaligen Rasenflächen und Beeten, die städtische „Arbeit-statt-Sozialhilfe“-Gärtner noch im Vormonat mit winterharten Stiefmütterchen bepflanzt hatten, sprotzte es wie in den Moorlandschaften jener Kriminalfilme, in denen Klaus Kinski immer tot im Speiseaufzug liegt.

Da es auf das höchste aller Christenfeste ging, hatten illegale pakistanische Hilfskräfte auf Geheiß ihrer deutschen Besitzer Tannenbäume in die Plattenfugen der Fußgängerzonen gerammt und elektrisches Glühlicht an die Äste geklemmt. Doch der Regensturm schrägte die ohnehin schale Illusion eines Christbaumwaldes bis zur Unkenntlichkeit. Hier und da furzten noch schwächelnde Kurzschlußfunken durch das faulrindige Nadelgehölz wie allerletzte Geleitsalute eines absurden Waldsterbens. Beigebraune Formaldehydbrühe suppte seifig aus den Tausenden aufgequollenen Spanplatten der zusammengetackerten Verkaufsstände für Jahresendzeitbedarf. Längst waren deren Naturnahheit halluzinierensollende Kieferfurniere abgeflutscht wie nässende Narbengewebe von eiternden Schürfwunden. Achtlos ausgespieen, schimmeligen Toastbrotscheibenbröckchen gleich, tanzten sie nun auf den Wellenkämmen der reißenden Schmutzwasser, vor denen das kommunale Kanalnetz schon lange kapituliert hatte.

Und doch tobte inmitten dieser schattenreichhaften Kulisse menschenähnliches Leben. Unzählige, in signalfarbenes Synthetikgewebe gewickelte Scharen schoben sich wie besessen durch die gefluteten Stadtviertel. Störrisch streckten sie dem wachsgesichtigen, blaulippigen Bretterbudenpersonal klamme Geldscheine entgegen, daß es seine mundgeblasenen Weihnachtsfiguren, fußgetretenen Öko-Kerzen, müffelnden Maronen oder den in brackige Lauge gesiedeten Backfisch herausgebe.

Und unverzagt weiter und weiter watschte die Menge, lud hier und da etwas mitgeschleiften Nachwuchs auf durchweichten Karussellponyrücken ab, beschimpfte sich dann und wann hysterisch mit unflätigsten Ausdrücken, steckte Plastikkarten in Hauswände, die prompt frische Geldscheine ausspuckten, und verschwand stoßweise in riesigen Einzelhandelspalästen. Diese an den Rändern des „Weihnachtsmarkts“ genannten Spanplatten-Slums errichteten Kaufkästen lockten mit flugzeuggaragengroßen Eingangsschleusen, in denen Warmluftgebläse den durchweichten Gesamtleib des manisch vorbeischwappenden Pulkes oberflächlich abtrockneten. In den 24 Grad warmen Bäuchen der großen Häuser aber walkte der geföhnte, nun muffig dampfende Mob weiter, schlupfte mit Gossenspritzwasser gefüllten Gummistiefeln über Nadelfilzböden und erstand überall, wo sich eine Möglichkeit ergab, Pakete, von denen nur die Ausnahmen weniger als einen Kubikmeter Inhalt faßten.

Die letzten Reserven mobilisierend, wackelte der zitternde Schwamm in die schwarzen Einstiegslöcher der unterstädtischen Abstellplätze für Individualverkehrsmittel, löste sich in drei- bis vierköpfige Gruppen auf, die in je eine blechgefaßte, vierrädrige Transporteinheit schlüpften.

Nach stundenlanger Fahrt erreichten die meisten ihre wenigen tausend Meter vor der Stadt gelegenen Wohnzellen. Menschgewordene Magenfalten stopften sich krampfhaft aus Autos in Häuser, schoben und warfen rücksichtslos matschige Pakete und lahmende Angehörige Treppen hinauf, rissen Türen auf und schlugen, endlich zu Hause, ein hartes, halbes Leben lang zusammengesparte Wohnungseinrichtungen zu Sperrmüll. In psychisch nicht ganz so stabil strukturierten Verhältnissen waren leider auch Opfer unter der Familienbevölkerung zu beklagen.

In der Stadt regnete es weiter bis zum Ende des Monats. Danach aber wurde sie von besonnenen überirdischen Mächten abgeräumt und nicht wieder hingestellt.