Brüssel? Vergiß es!

■ Das Elend der EU-Politik gegenüber Serbien

Wie unter Wiederholungszwang schlittern die Staaten der Europäischen Union ein zweites Mal nach 1991 mit ihrer Jugoslawienpolitik ins Aus. Angesichts der Revolte gegen Slobodan Milošević wäre es Aufgabe der Europäischen Union, sich auf eindeutige Beurteilungskriterien und gemeinsame Aktionen zu verständigen. Statt dessen: Ein italienischer Politiker fordert die serbische Opposition auf, Maß zu halten, französische Diplomaten lassen öffentlich durchblicken, es gäbe noch keine Alternative zu Milošević, Deutschland neigt der Politik deutlicher Worte zu, spricht sie aber nicht aus. Unterdessen wird in Serbiens Städten munter weiterdemonstriert. Die Leute auf den Straßen scheinen sich den Teufel um westliche Stabilitätsängste zu kümmern.

Anfang der 90er Jahre versäumten es die Staaten der Europäischen Union, festzulegen, was ihrer Meinung nach getan werden müßte, um die Auflösung Jugoslawiens human zu bewerkstelligen. Und sie zeigten sich, gelinde gesagt, unschlüssig, mit welchen Mitteln zivilisatorische Mindeststandards durchzusetzen seien. In Bosnien-Herzegowina hat die europäische Politik seit 1991 dann jede Glaubwürdigkeit eingebüßt. Bekanntlich wurde das Dayton-Abkommen von den USA durchgesetzt – ohne nennenswerte Beteiligung der Europäer.

Jetzt wieder das gleiche elende Bild. Bei der Europäischen Kommission wird an Troika-Konstruktionen für die gemeinsame Außenrepräsentation gebastelt. Die Idee, einen bekannten Politiker zum „EU-Außenminister“ zu befördern (Stichwort: Visualisierung) ist gescheitert. Sie hätte auch nichts bewirkt. Eine gemeinsame Planungs- und Analysegruppe soll aufgebaut werden. Als käme die politische Aktion aus der wissenschaftlichen Politikberatung.

Die Europäische Union hätte von sich aus eine Untersuchungskommission zur Teilannullierung der Kommunalwahlen fordern und im Rahmen der OSZE auch durchsetzen müssen. Sie hätte die Oppositionspolitiker nach Brüssel einladen müssen, um Klarheit darüber zu gewinnen, ob sich deren demokratischer Impuls auch auf den Kosovo erstreckt. Sie hätte – aber sie hat nicht. Wer wissen will, wie es um Brüssel steht, muß auf Belgrad schauen. Christian Semler

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