■ Krise beim Öko-Institut: Die Bewegung und ihre Experten
: Gestörtes Verhältnis

Das Öko-Institut ist eine politische Institution. Bürgerinitiativen haben es vor fast 20 Jahren aus dem Boden gestampft, um der Basis mit wissenschaftlichem Rat gegen Konzerne und Behörden zur Seite zu stehen. Der Glaube an Experten und Sachzwang sollte erschüttert werden, indem man zeigte, daß die herrschende Wissenschaft oft genug parteilich ist – auf seiten der Herrschenden.

Michael Sailer, seit langen Jahren Chef der Atomabteilung des Öko-Instituts, ist einer der Vorkämpfer dieser Idee. Die jetzt im Streit um Sailers Haltung zu den Castor-Protesten ausgetretenen Gründerväter Stefan Kohler, Gerd Michelsen und Günter Altner ebenso. Ihre politische Herkunft kann sie kaum auseinanderdividiert haben.

Es ist nicht Ideologie, die das Institut spaltet. Es ist vielmehr der in der Konstruktion des Öko-Instituts angelegte Grundkonflikt. Institutsmitarbeiter wie Sailer müssen gleichzeitig politisch denkende Menschen und von politischen Rücksichtnahmen freie Wissenschaftler sein, eine sensible Balance.

Denn Bürgerinitiativen und das soziale Umfeld des Instituts erwarten, daß die Wissenschaftler grundsätzlich auf ihrer Seite stehen. Zudem wollen sie sich von den Wissenschaftlern des Instituts beraten, aber keineswegs belehren lassen. Michael Sailer ist bei diesem heiklen Balanceeakt über den Strich geraten. Er nannte die Proteste gegen die Atomtransporte ins Wendland öffentlich unbrauchbar, um das Atommüllproblem zu lösen. Die BIs hingegen meinen, sie hätten das Institut nicht gegründet, um sich nach der Regierung nun von den eigenen Wissenschaftlern schurigeln zu lassen.

Gleichzeitig sind auch die harschen und teils beleidigenden Reaktionen der Bürgerinitiativen über den Strich gerutscht. Wer wissenschaftliche Beratung will, muß bereit sein, den Experten auch dann zuzuhören, wenn die Botschaft nicht paßt. Sie kann falsch sein, aber auch die Experten der Bewegung haben ein Recht auf zivilisierten Umgang.

Diesen haben beide Seiten vermissen lassen. Womöglich weil die Voraussetzungen dieses Streits nicht mehr stimmen. Die Bewegung als Basis des Öko-Instituts gibt es nicht mehr (die Proteste in Gorleben sind eher die Ausnahme). Und die 70 MitarbeiterInnen des Instituts arbeiten heute häufiger für Landesregierungen als für die BIs. Das Institut hat seine Bewegung verloren und die Reste der Bewegung ihr Institut. Der Verlustschmerz hat die Gesichter zu häßlichen Fratzen verzerrt. Hermann-Josef Tenhagen