Killer kommen aus den Bergen

Algeriens Präsident behauptet, die Städte des Landes seien wieder sicher. Von der Provinz spricht er nicht – dort herrscht noch immer Bürgerkrieg  ■ Von Reiner Wandler

Madrid (taz) – Es herrsche wieder Ruhe im Land, läßt Algeriens Präsident Liamine Zeroual gerne verlautbaren. Als Beweis dienen ihm die zahlreichen zurückkehrenden Ausländer – jene, die zu Beginn des Machtkampfes zwischen Regierung und Islamisten fluchtartig das Land verlassen hatten. Briten, Schweizer, Italiener und Deutsche wollen ihre Botschaftsbesatzung wieder verstärken, Österreich und die Niederlande stehen kurz vor der Wiedereröffnung ihrer diplomatischen Vertretungen, Spanien und Italien planen gar ein Kulturzentrum, internationale Firmen machen ihre Niederlassungen wieder flott.

Vor allem Algeriens Städte seien wieder sicher, erklärt Zeroual. Dank harten Durchgreifens des Militärs seien die Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) zu unbedeutenden Grüppchen geschrumpft. Über das andere Algerien redet der General nicht – dabei beginnt es nur wenige Kilometer außerhalb der Hauptstadt Algier. Dort regiert das Militär nur tagsüber, nachts gehören die Dörfer und Landstraßen der GIA. Die Radikalislamisten errichten noch immer Straßensperren auf der Suche nach Mordopfern. Treffen kann es jeden, der ihnen nicht ins Bild paßt – zuletzt vor einer Woche 20 Insassen eines Überlandbusses in der Nähe von Blida. Die Region, keine 50 Kilometer von Algier entfernt, ist Brennpunkt der Auseinandersetzungen zwischen Militär und islamistischen Kommandos. Zwar gehen der Armee, die immer wieder die Berge bombardiert, einzelne Islamistenkommandos in die Fänge. Herr der Lage ist sie allerdings nicht.

Chebli, Blida, Benachur, Benjelil ... – alles Orte vor den Toren der Hauptstadt, die durch Anschläge zu trauriger Berühmtheit gelangten. Über 150 Opfer waren hier in den letzten drei Wochen zu beklagen. Ziel dieses willkürlichen Terrors ist die Einschüchterung der Zivilbevölkerung. „Dieses Schicksal ereilt all jene, die die Gebetspflicht nicht befolgen“, stand im November auf Pappschildern neben den zerstümmelten Leichen eines Ehepaares bei Blida zu lesen.

Seit Wintereinbruch verstärken sich die Angriffe der GIA gegen Dörfer. Hunger und Kälte treiben die Kommandos aus den Bergen hinunter in besiedelte Gebiete auf der Suche nach Lebensmitteln. In Mulay Larbi, einem Ort 150 Kilometer südlich der Hafenstadt Oran, erschoß die GIA zwölf Bauern. Sie waren laut der Tageszeitung El Watan den Islamisten in die Berge gefolgt, um sie wegen des Diebstahls einer Ziegenherde zur Rede zu stellen. Die Antwort war eine MP-Salve.

Die Verlagerung des Bürgerkriegs von den Städten auf das Land zeichnet sich seit letztem Sommer ab. Damals schlachtete die GIA in Ain Usera, 200 Kilometer südlich von Algier, 17 Jugendliche grausam ab. Sie hatten sich der Zwangsrekrutierung durch die Islamisten widersetzt.

Wie einst im Befreiungskrieg gegen Frankreich fliehen die Menschen aus den Dörfern in die Städte, wo sie Schutz suchen; eine Entwicklung, die die schwierige wirtschaftliche Lage Algeriens noch verschärft. Für die Islamische Heilsfront (FIS), deren Verbot 1992 nach ihrem Sieg beim ersten Durchgang der Parlamentswahlen den bürgerkriegsartigen Konflikt auslöste, ist die Landbevölkerung Opfer beider Seiten: „der blinden Gewalt der GIA“ und der vom Militär gestützten Staatsführung, die „ihren Profit aus den abscheulichen Verbrechen zieht“, in dem sie die Attentate zum „Vorwand nimmt, um die Evakuierung der belagerten Dörfer zu organisieren“, heißt es in einer Erklärung der FIS-Auslandsführung. Unabhängige Stellen, wie die Algerische Liga für Menschenrechte, sehen das ähnlich. „Die Menschenrechte existieren in Algerien nicht. Während anderswo Terroristen eingesperrt und abgeurteilt würden, haben wir die Todesstrafe. Der Staat verhält sich genauso wie diese Gruppen und greift zu Hinrichtungen ohne jegliches Gerichtsverfahren“, erklärt der Vorsitzende Abdennour Ali Jahia. Er schätzt die Zahl der Opfer des Bürgerkrieges auf 100.000 – doppelt so viele wie der letzte Bericht von amnesty international.