Neue Seife statt alte Tabus für die Helden der Post-Revolution

■ Der kubanische Schriftsteller Miguel Mejides liest heute abend in Hamburg aus seiner Erzählung „Rumba Palace“

„Auf Kuba gibt es drei Zeitzonen“, behauptet Miguel Mejides, „genauer gesagt, es gibt drei Kubas: Das Kuba vor 1959, eine Neokolonie der US-Amerikaner; das Kuba nach 1959, dem Jahr des Triumphes der Revolution und das Kuba nach 1990. 1990 hat sich die Situation unseres Landes brüsk und absolut verändert“.

Der Zerfall der Sowjetunion bedeutete für den sozialistischen Staat den völlig unvorbereiteten Wegfall von umgerechnet zwölf Milliarden US$ Wirtschaftshilfe. Damit begann auf der Insel die „Spezialperiode“ - eine eufemistische Umschreibung dessen, was die kubanische Autorin Zoé Valdéz mit ihrem Überraschungserfolg Das tägliches Nichts treffender benannte.

Die eklatante Mangelversorgung hatte Auswirkungen auf die intellektuelle Produktion. Wo es kein Papier und selten Strom gibt, kann kein Buch gedruckt werden. Wurden vor 1990 mehr als 2000 Bücher auf der Insel publiziert, waren es 1990 nurmehr zwanzig. Heute sind es immerhin wieder achtzig, doch das Leben der Schriftsteller bleibt hart: „Auf Kuba schreibt man und hofft auf einen Engel.“

Der 46jährige Mejides war bis 1993 Präsident des Verbandes der kubanischen Schriftsteller, dann trat er zurück, „weil ich weder Bürokrat noch Funktionär sein wollte“. Heute lebt er als freier Autor in Havanna. Natürlich - „wäre ich ein großer Dissident, könnte ich leichter publizieren.“ Viele Künstler hätten das Land verlassen, um im Ausland erfolgreich den Markt mit seinem Wunsch nach Kommunistenschelte zu befriedigen.

Mejides ist geblieben, nicht zuletzt, weil ihn die geliebte Metropole nicht losläßt. Wie die meisten Kubaner beschreibt er die Stadt am Malecón mit ambivalenter Sehnsucht. „Havanna ist ein Minenfeld, ein sumpfiger Morast, aus dem die Erinnerungen vertrieben sind, ein Wald, in dem die tropische Hitze nichts für unser Mitleid zurückläßt, nichts als eine Gegenwart voller Rückblicke“, heißt es in seiner preisgekrönten Erzählung Rumba Palace.

Einen positiven Helden gibt es in der Geschichte nicht, wie er als Relikt des sozialistischen Realismus überhaupt aus der kubanischen Literatur verschwunden ist. Heute stehen die Helden des Alltags im Zentrum: „Die Frau, die es schafft, etwas Warmes zu essen zu kochen, oder der Mann, dem es gelingt, in Havanna ein Stück Seife zu ergattern.“ Gleichzeitig sind die Figuren nachdenklicher geworden. Auch das ist neu, denn Selbstreflexion war als privatistisch und somit dem kollektivitischen Geist der Revolution zuwiderlaufend verpönt.

Die Themen der zeitgenössischen Literatur haben sich dementsprechend vervielfältigt. Die intime Erlebniswelt, aber auch politische und gesellschaftliche Tabus werden thematisiert. „Kunst kann Wirklichkeit nicht ändern, aber Kunst hilft, sie zu ändern“, bemerkt Mejides über das fragile Wechselspiel. Als Beispiel nennt er Gutiérrez Aleas internationalen Erfolgsfilm Erbeer und Schokolade, der einen beachtlichen Beitrag leistete, die ebenso katholische wie marxistische Macho-Moral als Doppelmoral zu entlarven.

Die kubanische Realität zu hinterfragen, so Mejides, heißt nicht, sie abzulehnen: „Wenn die Kubaner sich für einen tiefgreifenden Wandel entscheiden, dann votieren sie gegen den Hunger, nicht gegen die Revolution.“ Christiane Kühl

Heute, 19.30 Uhr, Werkstatt 3, Nernstweg 32