Wolken, samtblau

Das Weihnachtsprogramm der Berliner Kindertheater  ■ Von Sabine Leucht

Wer so kurz vor Weihnachten kein Herz für Kinder hat, der hat es nimmermehr. Das wissen hierzulande selbst die Staats- und Stadttheater, und sie verwandeln ihre Bühnen für die zweitschönsten Wochen des Jahres in schillernde, glitzernde Kinderträume – oder in das, was sie dafür halten. Berliner Kinder haben das Glück, nicht auf die Brosamen angewiesen zu sein, die pünktlich zur Vorweihnachtszeit von den Tischen der „Großen“ für sie abfallen.

Vor allem für die Drei- bis Sechsjährigen warten die Kindertheater in vielen Bezirken mit einem stattlichen Angebot auf. Die Geschichte von der „Weihnachtsgans Auguste“ im Klecks-Theater, die lieber in Peters Bett schläft als in seines Vaters Magen, spielt eindeutig in Berlin: Da begrüßt uns forsch die Gänse „verkoofende“ Trödel-Erna (der gleichnamige Laden war eine Neuköllner Institution), und die verwöhnte Weihnachtsgans muß nächtens manchmal „pullern“ gehen.

Obwohl das Miteinander von Schauspielern und Puppen durchaus gelingt, kommt die Geschichte zuweilen etwas unbeholfen über die Rampe: Peters Vater ist Opernsänger – unschwer erkennbar an dem o-förmig gespitzten Mund der fast mannshohen Puppe und ihrem ständigen „Figaro“- Geträllere. Ansonsten ist er ein echter Kotzbrocken: Wenn er einmal nicht an Gänsebraten denkt, gibt er pädagogisch Hochkarätiges zum besten wie „basta, basta“ oder „das ist einfach so“.

Kein Wunder, wenn sich die Kinder zu Gewaltaufrufen gegen den Gänsefresser hinreißen lassen: „Schlagt ihn!“ schreit ein Junge, und der Rest wäre – träte der Ernstfall ein – mit Sicherheit wild grölend dabei. Doch der Alte zieht verängstigt Leine, und nach einigem Hin und Her gibt es an Heiligabend statt Gänsebraten Döner mit Knoblauchsoße (!). Wer hier nach Logik sucht, muß ein Erwachsener sein, den Kindern jedenfalls gefällt's.

Wer im Theater lieber etwas über die Vergangenheit lernt, weil es Döner auch an der nächsten Straßenecke gibt, der gehe ins Puppentheater Berlin: Hier können Kinder ab vier auf zauberhafte Weise erfahren, wer jener Nikolaus war, der ihnen alle Jahre wieder in der Nacht zum 6. Dezember die Stiefel füllt. Ulrich Treu führt seine kleinen und großen Zuschauer (am letzten Sonntag waren die großen in der Überzahl) behutsam hinein in die fremde Welt des „Nikolaus von Myra“, der „vor vielen hundert Jahren“ den drei Töchtern eines frisch verarmten Kaufmanns heimlich Goldtaler in die Schuhe steckte und so die Familie vor dem Ruin rettete.

„Als ich so klein war wie ihr jetzt, erzählte mir mein Großvater...“ – so beginnt eine Geschichte, die ganz vom Zauber der Andeutungen lebt. Kleine Nuancen in Blick und Stimme genügen, und der Erzähler wird wieder zum kleinen Jungen; eine neuerliche Akzentverschiebung, und der Großvater steht vor uns.

Wenn sich der Vorhang hebt, zeigt sich eine kleine Puppenbühne mit orientalisch anmutenden Gebäuden. Hier, in Myra, wird bald die eigentliche Handlung beginnen. Doch zunächst wird in Form eines so schlichten wie poetischen Schattenspiels die Vorgeschichte der späteren Helden erzählt. Die Sprache der Erzählung ist schmucklos; der Zauber geht allein von den filigranen Figuren aus und von der Zartheit, mit der hier alles vonstatten geht: Wenn des Abends die Lichter hinter den winzigen Fenstern angehen und über den Dächern eine feine Mondsichel erscheint, dann hört man nichts als ein leises „Oh!“ im Zuschauerraum. So schön ist es, daß es noch weitere drei Mal Nacht werden muß, ehe die Legende zu Ende ist und wir sie auf demselben Weg verlassen, auf dem wir eingetreten sind: Der Tanz der Puppen ist gerade vorüber, da erscheint Nikolaus abermals – als Schatten über dem nächtlichen Myra.

Weit weniger ruhig und andächtig geht es im Weihnachtsmärchen der Hans Wurst Nachfahren zu: In „Engel, Bengel und Co.“ gelingt es Krawumm und seinen drei schrägen Kumpanen um ein Haar, Weihnachten zu verhindern. Die drei haben nämlich den Glauben an den Weihnachtsmann (eine Miniweihnachtsmannpuppe), die große, die kleine und die Vorfreude (drei Federpuscheln) in eine Falle gelockt. Wäre da nicht der Engelanwärter Bengel, der lieber verbotenermaßen Erdenradio hört, als seine Wolke zu putzen, wäre der Coup auch fast gelungen. Mit seiner Frechheit und dem Beistand der Kinder wird Bengel zum Retter des Weihnachtsfestes, und am Ende wird er vom richtigen Weihnachtsmann auch ordentlich belohnt.

Die Idee ist pfiffig, und die Inszenierung besticht durch ihre optischen Reize: Himmlisch, wie Bengel zu Beginn zusammen mit einem tantig-distinguierten Riesenengel und einem Mitschüler vom Typ ältlicher Streber auf kuscheligen Wolkenkissen im Samtblau der Bühne thront. Dramaturgisch könnte die Aufführung allerdings noch etwas mehr Schliff vertragen, zumal ihr hohes Abstraktionsniveau den kleinen Zuschauern einiges abverlangt.

Spaß gemacht hat's aber allemal. Daher schleunigst Neffen, Enkel, Töchter und kleine Brüder einsammeln, Weihnachtsmärkte und Kaufhäuser links liegenlassen und die gewonnene Zeit für einen Theaterbesuch nutzen.

„Die Weihnachtsgans Auguste“, bis 22.12., Do., Fr. 9.30 Uhr, Sa., So. 15 Uhr, Klecks-Theater, Schinkestraße 9

„Der Nikolaus von Myra“, bis 22.12., Do., Fr. 10 Uhr, Sa. 16 Uhr, So. 11 Uhr, Puppentheater Berlin, Haubachstraße 26

„Engel, Bengel und Co.“, bis 26.12., wochentags 10 Uhr, Sa. u. Feiertage 16 Uhr, So. 11 und 16 Uhr. Hans Wurst Nachfahren, Gleditschstraße 5