Seit' an Seit' mit Michael Sailer

Der Geschäftsführer vom Öko-Institut verteidigt die wissenschaftliche Freiheit der Forscher gegen „absurde“ Forderungen  ■ Aus Freiburg Klaus-Peter Klingelschmitt

„Im atomaren Ausstiegspoker ist unser Widerstand der Joker.“ Mit diesem Slogan werben die TurmbesetzerInnen aus Gorleben auch am Stammsitz des Öko- Instituts für ihr gerade erschienenes Buch „Leben im Atomstaat“. Das Faltblatt liegt im Empfangsbereich auf einem IKEA-Beistelltisch – erste Lektüre für BesucherInnen.

Das Öko-Institut in Freiburg residiert im Stadtteil Weingarten in einem pink angestrichenen Hochhaus aus Beton. Doch drinnen ist fast alles aus Naturholz. Und der junge Geschäftsführer der drei Öko-Institute in Freiburg, Darmstadt und Berlin, Uwe Ilgemann, empfängt im grünen Pullover – und mit Handy.

„Atommüll spaltet Öko- Institut.“ Diese taz-Schlagzeile vom Dienstag hat Ilgemann geärgert. Von Spaltung könne keine Rede sein. Drei von 5.000 Mitgliedern hätten nach einem in der taz erschienenen Interview mit dem Reaktorsicherheitsexperten des Öko-Instituts, Michael Sailer, ihren Austritt angekündigt. Das sei zwar bedauerlich, insbesondere weil es sich bei Gerd Michelsen und Günter Altner um Gründungsmitglieder handele, die auch dem wissenschaftlichen Kuratorium angehö-

ren. Doch so wichtig, daß ihr angekündigter Austritt für eine Spaltung der Mitglieder oder gar der MitarbeiterInnen des Instituts sorgen könnte, seien „diese Leute“ nun auch wieder nicht, betont Ilgemann. Generationswechsel ist offenbar angesagt im Öko-Institut.

Ilgemann und sein Pressereferent Jörn Ehlers jedenfalls stehen hinter ihrem Atomexperten Michael Sailer. Dessen wissenschaftliche Qualifikation sei im Institut „unumstritten“. Gerade Sailer habe seit mehr als einem Jahrzehnt „ausgezeichnete Arbeit auch und gerade für die Bürgerinitiativen im Atombereich“ geleistet und mit für die wissenschaftliche Reputation der Institution gesorgt. Und deshalb seien die Vorwürfe gegen Sailer etwa aus den Reihen der Bürgerinitiative in Gorleben „geradezu absurd“, meint Ilgemann. Ehlers ergänzt: „In die Antworten von Sailer in dem Interview wurde viel hineininterpretiert. Sailer hat den Widerstand in Gorleben ausdrücklich für legitim erklärt und nur darauf hingewiesen, daß man nicht glauben sollte, mit der Blockade der Castor-Transporte nach Gorleben die Atomindustrie stoppen zu können.“ Die Zwischen- und Endlagerdebatte müsse geführt werden. Und diese Debatte werde auch und gerade im Öko-Institut geführt – hausintern und auch mit Sachverstand von außen.

Reaktorsicherheit in Darmstadt ist nach den Bereichen Chemie und Energie die drittgrößte Abteilung des Öko-Instituts. Und durch die gutachterliche Tätigkeit von Sailer und Lothar Hahn – zum Beispiel für das Land Hessen in Hanau und in Biblis – wird auch gutes Geld verdient. Wieviel? Damit wollen Ilgemann und Ehlers nicht rausrücken. Forschungsprojekte auch in anderen Bereichen könnten jedenfalls mitfinanziert werden. Zwar sei die Grundfinanzierung durch Mitgliedsbeiträge und Spenden gesichert. Doch die überwiegende Anzahl der Forschungsprojekte wird mit Mitteln der meist öffentlichen Auftraggeber bezahlt.

Daß heute auch Mittel von Auftraggebern wie der Hoechst AG in die Kasse der Ökos fließen, hat in letzter Zeit ebenfalls interne Debatten provoziert. Das Öko-Institut auf dem Weg zum ökologischen Dienstleistungsunternehmen auch für die ehemaligen Gegner? Oder immer noch ein Forschungsinstitut im Dienste der Ohnmächtigen, ein Gegengewicht zur staatlichen und industriellen Forschung und damit ein Unikat in der Forschungslandschaft? Für Ilgemann ist die Antwort klar. Das Institut, sagt er, fühle sich auch heute noch der Gründungserklärung von 1977 verpflichtet: „Alternativen für die Zukunft entwerfen und die Bedingungen ihrer Verwirklichung erforschen.“

Dazu steht auch Michael Sailer. Der Vorwurf, er sei ein „Büttel der Atomindustrie“, hat ihn tief verletzt. Und daß sich die Europaparlamentarierin Udine von Blottnitz von seinen Thesen zum Plutoniumkreislauf distanziert habe, die sie selbst auf Anhörungen in Straßburg und Brüssel vertreten habe, habe ihn „irritiert“. Er sei Wissenschaftler, und als Wissenschaftler habe er die Pflicht, erkannte Wahrheiten auch auszusprechen, sagt Sailer. „Oder muß ein alternativer Wissenschaftler seiner Klientel so nach dem Munde reden wie ein etablierter Wissenschaftler seinen Auftraggebern aus der Industrie?“