Das Scheitern der Gänseblümchen

■ Fingerübungen und Nummernrevues: Vier neue Tanzwerft-Choreographien geben einen Einblick in Probenarbeiten

Das Scheitern beginnt mit Frühlingsgefühlen. Vivaldi-Geigen frohlocken kurz über das Winterende. Dann obliegt der Saisonwechsel in Seele und Befindlichkeit ganz den vier Tänzern, die mit einer Choreographie von Cornelia Ölund den diesjährigen Tanzwerft-Abend auf Kampnagel eröffnen.

Frauenbeine baumeln über dem Rand eines Holzkastens. Ein Mann schaut herüber. Das Spiel aus unvermeidlicher Annäherung und künstlicher Verzögerung, aus konkurrierendem Gehabe und schwesterlicher Konspiration nimmt seinen Lauf und schickt die Tänzerinnen immer wieder in und durch die Holzrahmen. Diese sarggroßen Requisiten scheinen dabei einen magischen Ort zu umzäunen, an dem alle zu Spielbällen recht fatalistischer und deformierender Wirrungen verkümmern. Und fortan zucken die Glieder wie angewachsene, organische Irrtümer. Das „feine, unspektakuläre, das alltägliche Scheitern“, wie das Programmheft den erwünschten Subtext ankündigt, ähnelt einem getanzten Gänseblümchenzupfen, bei dem mit jedem entfernten Blütenblatt zunächst die Gunst des Begehrten, später das Einverständnis mit der eigenen Bewegungen auf dem Spiel steht. Und wenn sich die Tänzer in einer Kombination aus rituellen Umarmungen, Wegstoßen und Wieder-auf-die-Beine-helfen formieren, ist das schon die einzig spannende Zuspitzung des insgesamt pubertär bleibenden Ausnahmezustands.

Jan Puschs „No noise reduction“, sein letztes work-in-progress-Spiel, kommt als Game-Show daher, bei dem Zuschauer-Buhrufe oder -Pfeifen als akustische Fernbedienung die Tänzerinnen möglichst fix in Beißnähe zu einem Schokoladennikolaus manövrieren sollen. Amüsant und effektsicher präsentierte Moderator Pusch so seine Arbeit als Nummernrevue. Appetitanregende Häppchen und product placement in eigener Sache in einem, die den Wunsch nach einem zusammenhängenderem Ganzen berechnend unerfüllt lassen.

Victoria Haukes Tanzskizze zu dem für 1997 geplantem Stück „Splitterparty, ein Fest für Headlions und Sublions“ exerziert ein schmales Bewegungsvokabular zu Redewendungen wie „den Kopf über Wasser halten“. In Fischernetzen hüpft und wiegt sie sich mit Andrea Stimper zu einer kurzatmigen, heftig stampfenden Musik über die Bühne. Doch schnell rackert sich die Choreographie am eigenen Formalismus ab, gerinnt zu einer Etude, die nur noch zuende gebracht werden will.

Heidrun Vielhauer und Rotraud de Neve betanzen schließlich in „Unerwartete Begegnungen 2“ das mythenumwaberte Dilemma zwischen europäischer, domestizierter Weiblichkeit und vermeintlich enthemmter Sinnlichkeit der wilden, schwarzen Frau. Ein Stück, das sich unbändig über die eigenen exotischen Attraktionen freut. Und wenn die schwarze Tänzerin (Angelika Akpovo) wüst mit den Augäpfeln rollt, scheint Knochenhaarspange und Leopardenlatz schon der Inbegriff des Ursprünglichen zu sein. Birgit Glombitza