Die große Furcht vor dem Schlendrian

■ Das sichere 88:67 in der EM-Qualifikation gegen England läßt die Sorgen der deutschen Basketballer vor den letzten beiden Spielen kaum geringer werden

Dessau (taz) – Als nicht ganz firm im Tenniswesen erwies sich Basketballbundestrainer Vladislav Lucic vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen England. „Wir haben jetzt drei Matchbälle“, sagte der Serbe in Hinblick auf die restlichen Spiele in der Gruppe B gegen England, Estland und Portugal. Was er meinte, war aber eher, daß sein Team drei Matchbälle abzuwehren habe. Denn nach den erwarteten Niederlagen gegen den Gruppenprimus Rußland und der hohen Schlappe in Lettland, die den direkten Vergleich zugunsten der Balten ausfallen läßt, war das Dessauer 88:67 gegen die schwachen Engländer ein bitter notwendiger Erfolg. Mehr nicht.

Die nächsten Matches müssen ebenfalls gewonnen werden, um als einer der vier besten Gruppendritten sicher bei der EM in Spanien dabeizusein, wobei jenes am 29. Januar in Tallinn ein harter Brocken werden dürfte. „Ich denke, da müssen wir uns noch steigern“, sagt Teamkapitän Michael Koch, zumal die Esten für dieses Spiel mit ihren beiden großen Stars Sokk und Kuusma rechnen können. Kuusmas Dreipunktewürfe hatten schon bei der EM 1993 dem späteren Champion aus Deutschland eine herbe Vorrundenniederlage beschert.

Mit etwas Glück könnte es auch reichen, in Tallinn mit weniger als 20 Punkten zu verlieren, da das Hinspiel in Koblenz 85:66 gewonnen wurde. Eine Konstellation, die Michael Koch gar nicht so recht ist. „Ich bin inzwischen überzeugt, daß wir den Druck brauchen“, sagt der Profi von Panathinaikos Athen, „sonst kommt der deutsche Schlendrian.“ Wie in Lettland, wo man sich auch eine Niederlage mit 17 Punkte leisten konnte, entsprechend locker hingefahren und dann „fürchterlich untergegangen“ sei.

Nach dem Match in Riga war das Team ziemlich deprimiert, und so kam der Partie gegen England doch noch eine besondere Bedeutung zu: die der moralischen Aufrüstung. Das klappte sehr gut, auch wenn die Briten zu Beginn einigermaßen mithalten konnten. Steve Bucknall von Iraklis Saloniki, mit feschen weißen Kniestrümpfen angetan, gelangen einige gute Aktionen, und sein Kollege mit dem für einen Basketballer wunderbar geeigneten Namen Dunkley dunkte zwar kaum, traf aber aus der Mitteldistanz. Mit 16 Punkten war Spencer Dunkley, der sonst in Limoges tätig ist, bester Werfer der Engländer. Glück für die deutsche Mannschaft, daß der NBA-erfahrene John Amaechi von Panathinaikos keine Lust verspürte, die Krauts ein wenig zu ärgern. „Der ist in Amerika“, verriet Klubkamerad Koch zufrieden schmunzelnd, „er ist nicht so heimatverbunden.“

Mit der Zeit gewann das deutsche Team, das nach dem Sommer der „jungen Wilden“, als sich einige Collegespieler in seinen Reihen getummelt hatten, wieder auf die alte Europameistergarde setzte, an Sicherheit. Die Taktik, die englischen Aufbauspieler werfen zu lassen, „weil sie sehr schlechte Schützen sind“ (Koch), ging auf, und die 3.000 Zuschauer in der ausverkauften Halle konnten einige rasante Konter bejubeln. Zur Halbzeit stand es 46:32, danach wurde der Vorsprung ausgebaut, und die Engländer hatten außer einem zur Disqualifikation führenden Wutausbruch ihres sonst angeblich sehr sanften Riesen Ian Whyte nicht mehr viel zu bieten. Trotz einer bescheidenen Trefferquote von 40 Prozent blieb vor allem Steve Bucknall stets gutgelaunt, an eine EM-Qualifikation der Briten war ohnehin nie zu denken gewesen.

Für Vladislav Lucic hingegen kommt nichts anderes in Frage. Ein Scheitern, ähnlich dem der Handballer, würde das deutsche Basketball lange Zeit ins Abseits stellen, da die Qualifikation zur WM 1998 nur über die EM läuft. Der Verband müßte sich auf eine Kürzung der Fördergelder einstellen, die Bewerbung für die Austragung der WM 2002 würde gewaltig an Chancen verlieren. Eine schwierige Situation für Lucic, der das Kunststück fertigbringen muß, international erfolgreich zu sein und gleichzeitig den erforderlichen Umbruch vorzunehmen, da er mit Welp, Baeck und möglicherweise auch Koch nicht mehr allzulange rechnen kann.

Für die nächsten Spiele setzt der Bundestrainer indes noch ganz auf die Routiniers, die in Dessau die meiste Zeit auf dem Spielfeld standen und in Gestalt von Rödl (19), Welp (16) und Harnisch (15) auch einen Großteil der Punkte holten. Michael Koch hofft, daß in Estland die geballte Erfahrung eine Pleite wie in Riga verhindert: „Wir sind Profis und wissen, was das Ziel ist.“ Hauptsache, der perfide Schlendrian schleicht sich dann nicht am 26. Februar gegen Portugal heimlich wieder ein. Matti Lieske