Er war Peter Perfect

Am Sonntag wird der gute alte Keeper Shilton zum 1.000. Mal in einem Ligaspiel im Tor stehen  ■ Aus London Katrin Weber-Klüver

Der Mann, der an diesem Dezembernachmittag im Studio Craven Cottage im Tor der Gäste steht, hat schon spektakulärere Szenerien gesehen als diesen pittoresken Sonnenuntergang über einem baufälligen, halbleeren Stadion, durch das von der Themse her eisiger Wind weht. Er ist 47 Jahre alt und heißt Peter Shilton. Seine Laufbahn ist einzigartig, ganz oben und ziemlich weit unten.

Sein Debüt für Englands Fußballnationalteam gab er 1970 in Wembley gegen die DDR, 20 Jahre später stand er im Turiner Stadio Delle Alpi gegen Deutschland im WM-Halbfinale. Er hat mit 125 Länderspielen einen Weltrekord aufgestellt und in der Hälfte dieser Spiele kein Gegentor kassiert. Vor 17 Jahren gewann Shilton mit Nottingham Forest im Münchner Olympiastadion, ein Jahr später im Madrider Bernabeau-Stadion (gegen den HSV) den Europapokal der Landesmeister. Shilton sei, sagte einmal sein Nationaltrainer Bobby Robson, „der beste Keeper der Welt“.

Seine Premiere als Profi liegt 30 Jahre und also länger zurück als der Tag, an dem England Weltmeister wurde. Seit drei Wochen ist Shilton erster Torhüter von Leyton Orient, einem Drittdivisionär aus dem Londoner Nordosten, bei dem sich zum exotischen Namen bescheidene Tradition und ein halbseidener Klubchef gesellen. Der Box- und Snooker-Promoter Barry Hearn wendete Leytons Bankrott ab, dann ließ er die Südtribüne an der Brisbane Road einreißen, um keinen Neubau, sondern erst mal einen kostenpflichtigen Parkplatz einzurichten. Jedes Heimspiel eine Halbzeit vor Autos statt Fans im Tor zu stehen, ist nun Shiltons Alltag.

Es heißt, schon als Kind in Leicester habe er mutterseelenallein als Torwart Spielsituationen simuliert. Dort begann er 1965 als Reservist der Torwartlegende Gordon Banks. Später wurde er dafür gerühmt, wie er Angriffszüge vereitelte, weil er sie erahnte. Shilton sagt: „Ich liebe den Wettkampf.“

Sein Ebenbild steht im Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud. Doch als Berufstorwart nur noch Geschichte zu sein, weigert er sich. Lieber spielt er bei einem der schlechtesten Profivereine Englands, als gar nicht mehr. Zwei Jahre hat er als Reservist bei fünf Vereinen gelitten und „immer auf mein tausendstes Spiel gewartet“. Zuletzt tat er das bei West Ham United, bis der Premier-League- Klub ihn vor ein paar Wochen Leyton zum Tausch anbot. Die Partie bei Tabellenführer Fulham ist Shiltons 999ster Auftritt in Englands Profisystem, das von Premier League bis Division Three vier Klassen umfaßt.

Diesen Sonntag nun wird an der Brisbane Road sein Traum endlich wahr. Er freut sich auf den Rekord, der einer für die Ewigkeit sein könnte. Er ignoriert es, ein in die Jahre gekommener Rekordnationalspieler in den Niederungen des Profifußballs zu sein. Shilton sagt: „Ich denke, wenn man älter wird, gibt es etwas, das einem sagt, man solle es so lange versuchen, wie es eben geht.“ Mit diesem Konstrukt hat er, der als Perfektionist gilt, den Widerspruch gelöst, den Ideal und Alter im Profisport bilden.

Sein Haar ist graumeliert, die Falten um die dunklen Augenringe sind zahlreich, der Körper nicht mehr makellos athletisch, und die Bewegungen beginnen schwerfällig auszusehen. Seine Ruhe, Übersicht und Reflexe sind unverändert. Den Himmel über Craven Cottage durchziehen violettrote Wolkenschwaden, und die Zuschauer frieren vor Langeweile, als Shilton nach einer Viertelstunde den ersten satten Schuß über die Latte lenkt. Weitere Paraden verleiden Fulhams Anhängern den Spaß am Hohn- und Spott-Geplänkel über den „alten Mann im Tor“. Shilton weiß, daß Härte und Präzision der meisten Schüsse in der Viertklassigkeit nicht unbedingt Weltklasseparaden fordern.

Womöglich ahnt er auch, daß er nichts anderes als Torwartsein wirklich beherrscht. Er wurde immer für seine Solidität respektiert, nie als charismatischer Held geliebt. Ihm fehlt jede Launigkeit, um wie Sepp Maier in Fernsehshows Späße zu treiben. Und während Dino Zoff als Coach von Juventus Turin den UEFA-Pokal gewann, scheiterte Shilton als Spielertrainer des drittklassigen Plymouth Argyle.

Zugleich trieben ihn Pferdewetten in den Ruin. Vor einem Jahr gewährten drei Dutzend Schuldner Shilton ein Abzahlungsverfahren für fast eine halbe Million Pfund Verbindlichkeiten. Schon deshalb bleibt ihm womöglich wenig übrig, als weiter als Torwart Geld zu verdienen. Er selber sagt nur: „Ich liebe das Spiel.“ Als in Fulham die Mondsichel über Craven Cottage steht, kommentiert er am Spielfeldrand, er habe „allen gezeigt, daß ich es noch kann“. Er gibt Kindern Autogramme und läßt sich für Erinnerungsfotos umarmen. Peter Shilton nähert sich der Fünfzig und sagt, er wolle „wieder in die Premiership“. Der Mann, der „Peter Perfect“ war, findet kein Ende.