Blut und Boden und Popo

■ ReadMe: Herbert Suhr hat ein Buch über den "Stern" geschrieben, das Nannen als egozentrischen Hypochonder zeigt. Aber wer ist eigentlich Herbert Suhr?

Die Zeit der Trauer war schnell vorbei. Gerade mal zwei Monate ist es her, da traf sich die deutsche Presseprominenz im Hamburger Michel, um wahlweise vom „Sonnenkönig“ (Berliner Zeitung) oder „Hans Albers des deutschen Journalismus“ (Süddeutsche Zeitung) Abschied zu nehmen. Der liegt mittlerweile auf dem Emder Friedhof, und die Kollegen vom Stern sitzen wieder an ihren Schreibtischen. So war es wohl nur eine Frage der Zeit, wann der erste von ihnen die große Illustriertensaga auf den Markt werfen würde.

„Schreib das auf, Herbert!“ hat Herbert Suhr seine Geschichte über „40 Jahre beim Stern“ genannt, obwohl Herbert bestimmt nie etwas aufschreiben mußte, weil er nämlich Grafiker war. Also hat er sich die abgedroschene Kisch- Paraphrase einfach selbst zugeraunt und drauflosgeschrieben. Herausgekommen ist eine Mischung aus Tagebuch und Gerüchtesammlung, die das Klischee vom chaotisch-kreativen Journalistenhaufen generiert, der jede Woche aufs neue eine dufte Mischung aus „etwas Blut und etwas Boden, aber auch etwas Popo und etwas Politik“ anrührt.

Die Sache mit Suhr und dem Stern fing aber auch schlecht an. Als er am 5. Januar 1956 das Hamburger Pressehaus betrat, regnete es, und Henri Nannens Vater war auch gerade gestorben. Suhr durfte trotzdem bleiben und kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus: „In den folgenden Wochen flattere ich wie eine Fledermaus durch die Redaktion und begreife überhaupt nichts.“ So liest sich das dann auch: Immer wieder spielt Suhr auf Nannens braune Vergangenheit an, um ihn im selben Atemzug reinzuwaschen. Schließlich seien die Freunde vom Chef „nur im Dienst Nazis“ und privat „ganz dufte Typen“ gewesen.

Zumindest den jetzigen Stern- Chef Werner Funk wird es freuen, daß die intellektuelle Krise auch schon vor seiner Zeit dazugehörte und die Redaktionskonferenz einem Stelldichein halbgebildeter Pressezombies glich. Wenn man Suhrs teilweise aus Presseartikeln abgeschriebener Kolportage glauben mag, machte sich in deren Mitte ein egozentrischer Hypochonder namens Nannen breit. So recht glauben mag man es aber nicht, denn Suhr läßt den Leser nur hier und da mal reinhören und hangelt sich an den altbekannten Ereignissen entlang: Mord an J.F.K, Mauerfall und so weiter. Nein, eine Geschichte zu erzählen, ist Suhrs Sache nicht. Lieber verteilt er mit lockerer Hand Indizien für den Größenwahn von olle Nannen, der angeblich die Stadt Quickborn in „Stern-Born“ umbenennen lassen wollte.

Daß man sich der Welt auch in der Layout-Abteilung entfremden kann, beweist Suhr im letzten Kapitel, dem völlig überflüssigen Epilog eines verbitterten Pensionisten, der sich von graffitisprühenden „Chaoten“ und Schnorrern bedroht fühlt.

Verwunderlich, was der ansonsten honorige Verlag Rasch und Röhring so auf die Leser losläßt, wenn es gilt, aus dem Tod eines prominenten Journalisten ein Weihnachtsgeschäft zu machen. Bleibt eigentlich nur zu hoffen, daß bald Henri Nannens Tagebücher entdeckt werden.

Oliver Gehrs

Herbert Suhr: „Schreib das auf, Herbert!“ Verlag Rasch und Röhring, 209 S., 29,80 DM