"Die Opposition ist noch zu konfus"

■ Jelka Imsirovic, die Mitbegründerin der pazifistischen serbischen Frauengruppe "Frauen in Schwarz", über die Protestbewegung in Belgrad, das Doppelgesicht der serbischen Opposition und die Strategie der

Die 49jährige Soziologin Jelka Imsirović gehörte 1968 zum harten Kern der Studentenbewegung im damaligen Jugoslawien. Ihr Engangement für gesellschaftliche Reformen und ihre Kritik am jugoslawischen Selbstverwaltungssystem unter dem kommunistischen Staatsgründer Tito brachte ihr eine mehrjährige Haftstrafe ein, danach Berufsverbot. Bei Ausbruch des jugoslawischen Erbfolgekrieges 1991 gründete sie mit anderen Pazifistinnen die Vereinigung „Frauen in Schwarz – damals die einzige politische Gruppierung Serbiens, die ihre Stimme gegen die Kriegsabenteuer in Kroatien und Bosnien erhob und mit wöchentlichen Mahnwachen im Zentrum Belgrads auf das Leid der Zivilbevölkerung aufmerksam zu machen versuchte.

taz: Zehntausende von Menschen demonstrieren seit fünf Wochen jeden Tag in den Straßen Belgrads. Wie erklärst du dir das zähe Durchhaltevermögen der Demonstranten?

Jelka Imsirović: Endlich sind die Menschen aufgewacht. Endlich. Auch wenn diese Proteste Jahre zu spät kommen. Es ist noch gar nicht lange her, da wurden wir „Frauen in Schwarz“ ausgelacht, als wir sagten, ein Schweigen der Waffen allein sei noch kein Frieden. Es wird noch lange dauern, bis in Serbien eine bürgerliche Gesellschaft entsteht und das alte kommunistisch-nationalistische Regime abdanken muß. Was wir jetzt sehen, sind zwei verschiedene Strömungen: Zum einem gibt es die Studenten, zum anderen die gewendeten Nationalisten der Opposition. Ich glaube, nur die Studenten werden etwas bewegen. Die Oppositionsführer des Bündnisses Zajedno sind zu kompromittiert, um die Vorhut einer Erneuerungsbewegung zu sein.

Auch Zoran Djindjić von den Demokraten, oder Vuk Drasković, Parteichef der Serbischen Erneuerungsbewegung?

Drasković weiß noch immer nicht, was er will. Was er unter Erneuerung versteht, ist teilweise eine Rückkehr ins 19. Jahrhundert. Er verklärt die Zeit der Nationalstaatenbildung im Europa des vorigen Jahrhunderts. Noch immer spricht er sinngemäß von einem „Serbien über alles“. Für ihn ist es das serbische Volk, der serbische Geist, der serbische Kampfesmut, die serbische Geschichte, die sich nun in Belgrad als „serbische Erneuerung“ manifestiert und Europa zeigt, daß Serbien das Zentrum der Welt ist. Das steht auch auf dem großen Banner, hinter dem Drasković allabendlich durch die Straßen zieht. Das macht mir den großen Demonstrationszug so unsymphatisch, auch wenn ich sagen muß: Nicht alle, die da marschieren, sind Nationalisten.

Worauf stützt sich aber dein Optimismus bei den Studenten?

Auf ihre Jugend. Die Wortführer der Studenten sind um die 20 Jahre alt. Das bedeutet: Bei Ausbruch des Krieges waren sie Minderjährige. Nicht wenige von ihnen wurden als Kanonenfutter mißbraucht. Mit 17 wurden sie zwangsrekrutiert, nach Kroatien und Bosnien geschickt, nur weil ihre kriegsbegeisterten Eltern von Großserbien träumten. Diese Jugend kennt den Tito-Sozialismus nicht mehr, sie identifiziert sich nicht mit den nationalistischen Träumereien unserer Philosophen und Schriftsteller, die nach Titos Tod 1980 die Stunde kommen sahen, endlich ein serbisches Großreich anstelle des sozialistischen Jugoslawiens errichten zu können. Diese Jugend will nach Europa. Sie teilt die Wünsche und Sehnsüchte ihrer Generation in Paris, London oder Berlin.

Wie wird es in den kommenden Wochen weitergehen?

Trotz aller meiner Kritik an den Oppositionsführern bin ich froh, daß Belgrads Bürger so massiv ihrem Unmut Luft verschaffen. Das hat schon jetzt einige Veränderungen bewirkt. Das serbische Regime kann gewaltsam nicht mehr einschreiten. Die Gefahr eines Putsches ist gebannt. Ich glaube, Präsident Slobodan Milošević hat erkannt, daß er kann nur noch über Kompromisse und Zugeständnisse an der Macht bleiben kann. Schreitet er gewaltsam ein und zettelt einen Bürgerkrieg an, würde ihn das sofort den Kopf kosten. Milošević ist klug genug, eine Entwicklung wie vor sieben Jahren in Rumänien abzuwehren. Also wird er einlenken, zaghaft und nur schrittweise immer mehr Wahlergebnisse für nichtig erklären und nachwählen lassen.

Wird sich die Opposition auf dieses Spiel einlassen?

Sie hat keine andere Wahl. Sie ist noch zu konfus, um schon jetzt die entscheidende Machtprobe mit Milošević zu suchen. Ja, ich glaube, sie wird ebenfalls einlenken, sich auf Nachwahlen einlassen, jedoch diesmal unter Aufsicht der OSZE und westlicher Wahlbeobachter. Vielleicht kommt es dann auch zu einem Runden Tisch, wie vor dem Fall der Berliner Mauer. Interview: Karl Gersuny