Nur nicht das Gesicht verlieren

Seit seinem Amtsantritt 1990 hat Perus Präsident Alberto Fujimori seine autoritäre Herrschaft kontinuierlich ausgebaut. Mit der Geiselnahme ist seine Macht erstmals angekratzt  ■ Von Ulrich Goedeking

Berlin (taz) – „Freiheit für die inhaftierten MRTA-Führer!“ Ginge es in Lima nur um diese Forderung der Geiselnehmer, Präsident Alberto Fujimori könnte die Verhandlungen gelassener angehen. Denn die Guerilla der Revolutionären Bewegung Tupac Amaru (MRTA) hat so oder so keine nennenswerte soziale Basis mehr. Aber die spektakuläre Besetzung der Residenz des japanischen Botschafters bedeutet mehr. Sie erschüttert die sorgfältig konstruierte präsidentielle Macht, die Fujimori seit 1990 zum unangefochtenen Herrscher hat werden lassen. Er regiert umgeben von nur wenigen engen Vertrauten, darunter Jaime Yoshiyama, der mögliche Kronprinz des Präsidenten, und der selten öffentlich auftretende Sicherheitsberater Vladimiro Montesinos, der als mächtigster Mann Perus nach Fujimori gilt.

Ohne organisierten Parteiapparat und ohne feste Verankerung in lokalen Machtstrukturen stützt sich Fujimori auf drei Pfeiler: Die Streitkräfte stehen ebenso hinter ihm wie die internationalen Finanzinstitutionen. Die wichtigste Stütze der Macht des Präsidenten aber ist sein öffentlichkeitswirksam inszeniertes Bild als Retter des Vaterlandes, dem er erst 1995 die Wiederwahl mit überwältigender Mehrheit zu verdanken hat.

Peru im Jahr 1990: Hyperinflation und Anschläge des Leuchtenden Pfades und, nur am Rande wahrgenommen, auch der MRTA bestimmten das Bild. Völlig überraschend gewann der unbekannte Agraringenieur Alberto Fujimori die Präsidentschaftswahl gegen den weltberühmten Schriftsteller Mario Vargas Llosa. Er versprach, den Terrorismus zu besiegen und die Wirtschaft zu stabilisieren – was kaum jemand glaubte.

Drei Jahre später war Fujimori ein Held. Ein neoliberales Schockprogramm ließ die Inflationsrate sinken. Das ist der großen Mehrheit der Bevölkerung allemal lieber als das Chaos zuvor – trotz Massenarmut. Und vor allem: Abimael Guzmán, der „Präsident Gonzalo“ des Leuchtenden Pfades, wurde im September 1992 verhaftet.

Das Ausmaß des Terrors bis 1992 erklärt, wie sich Fujimori in solcher Absolutheit als Erlöser inszenieren konnte. Der Leuchtende Pfad setzte zum Sturm auf die Hauptstadt an, Guzmán propagierte ein „reinigendes Blutbad“ mit einer Million Toten. Es ging nicht um irgendwelche Überfälle auf Polizeistationen, sondern um die Frage, ob der peruanische Staat zusammenbricht. Die Nachricht von der Verhaftung Guzmáns wurde so auch für politische Gegner des Präsidenten zur Erlösung von einem Alptraum.

Die traditionellen Parteien leckten indessen ihre Wunden. Im April 1992 hatte Fujimori im Zuge seines „Selbstputsches“ das Parlament aufgelöst und die obersten Richter abgesetzt. Aus seiner Abneigung gegen die parlamentarische Demokratie hat der Präsident dabei nie ein Hehl gemacht. Das Parlament? Eine Schwatzbude. Parteien? Ansammlungen korrupter Funktionäre.

Dagegen setzte er das Bild einer Regierung von unbestechlichen Fachleuten. Noch nie haben so viele Politiker behauptet, sie seien gar keine Politiker. „Politiker“ ist zum Schimpfwort geworden in Peru, was zählt, sind „unabhängige Fachleute“. Fujimori hat strategisch richtig eingeschätzt, daß er damit den Nerv einer öffentlichen Meinung traf, die Parteiendemokratie bis heute mehrheitlich mit Krise und Chaos assoziiert. Der Präsident hat es geschafft, das jahrzehntelang etablierte Parteiensystem faktisch aufzulösen. Bei der Wahl 1995 kam keine der alten Parteien über fünf Prozent. Auch das Netz von sozialen Bewegungen und Basisorganisationen ist von dieser Krise des alten politischen Systems betroffen, zu sehr agierten sie über Jahre hinweg im Schlepptau diverser linker Parteien.

Fujimori, der Retter; Fujimori, der technokratische Fachmann; Fujimori, der eiserne Besen, der die korrupte Politikerkaste vertrieben hat. Der Präsident ist auf dieses Image angewiesen, um weiter, getragen von öffentlicher Zustimmung, sein Projekt eines modern- kapitalistischen, autoritär regierten Peru zu verfolgen. Mit trickreicher Verfassungsinterpretation versucht er gerade, sich eine dritte Amtszeit zu genehmigen.

Und plötzlich kommt eine Gruppe von Guerilleros und führt den Präsidenten vor. Der Held der inneren Sicherheit kann nicht einmal den Empfang des japanischen Botschafters schützen. Potentielle japanische Investoren, Symbol für den erhofften Wirtschaftsaufschwung, finden sich als Geiseln wieder. Egal, wie die Geiselnahme ausgeht, das strahlende Bild des Präsidenten hat Risse bekommen. So sehr die Stärke Fujimoris auf seiner Popularität beruht, wird jetzt die Schwäche dieses auf seine Person konzentrierten Machtgefüges deutlich: Er ist so abhängig von seinem Image, daß ein Schlag wie dieser Spuren hinterlassen wird. Viele seiner politischen Gegner dürften sich klammheimlich freuen. Eine schon totgesagte politische Gruppierung ohne Zukunft hat damit geschafft, was sie selbst seit Jahren vergeblich versuchen.