Junior bastelt Kompromisse

Der Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker kennt die Pläne zur EU-Währungsunion viel besser als seine Amtskollegen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Als nichts mehr ging, überließ Bundeskanzler Kohl dem Junior das Feld. Die Finanzminister hatten sich in der Nacht festgebissen. Nach dem Frühstück sollte nun der Mann, der die Währungsunion entworfen hat, sie aus dem Feuer holen. Jean-Claude Juncker, Regierungschef im kleinen Großherzogtum Luxemburg, erledigte auch diese Aufgabe mit Bravour. Zum Dank, scherzte Kohl, dürfe Luxemburg 40 Prozent der deutschen Steuerfluchtgelder behalten.

Den Kompromiß, den Juncker auf dem EU-Gipfel am Wochenende aushandelte, hatte sich Kohl ausgedacht. Aber er konnte ihn unmöglich selbst vorschlagen. Die deutsche Regierung war schließlich Partei im Streit um den Stabilitätspakt, der seit Monaten das deutsch-französische Verhältnis belastete. Kohl schickte deshalb „den Junior“ vor, wie er den 42jährigen Juncker liebevoll nennt.

Der smarte Luxemburger eignete sich wie kein zweiter für diese Aufgabe. Er ist nicht nur Duzfreund von Kohl und meistens seiner Meinung. Jean-Claude Juncker genießt auch das Vertrauen der anderen EU-Regierungschefs. Schon wegen seiner französischen Ausbildung nimmt ihn auch Chirac ernst. Als einziger unter den Regierungschefs spricht er Deutsch, Französisch und Englisch perfekt genug, um die Nuancen zu beherrschen, die für die Ausformulierung heikler Kompromisse nötig sind.

Um die Form zu wahren, weihte Kohl auch den irischen Premier John Bruton ein, der in diesem Halbjahr den EU-Vorsitz führt. Kurz nach zehn Uhr, die Regierungschefs hatten gerade erst im Schloßsaal Platz genommen, schickte Bruton sie zum Pausentee. Juncker solle mit Kohl und Chirac allein verhandeln. Zwischendurch durften auch die Finanzminister Theo Waigel und Jean Arthuis immer wieder mal mit am Tisch sitzen.

Beim Mittagessen klopfte Juncker schließlich auch Chirac weich: Das Verfahren gegen Haushaltssünder, die nach Beginn der Währungsunion wegen zu hoher Staatsausgaben das Schuldenlimit von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes überschreiten, wird automatisch in Kraft gesetzt – ein Alptraum für Chirac, der technokratische Lösungen haßt. Dafür mußten die Deutschen bei der Strafverhängung Federn lassen: Ob die Strafe gezahlt werden muß, entscheiden die EU-Finanzminster von Fall zu Fall und mit Mehrheit.

Von „fallbeilartigen Sanktionen“, wie sie von Waigel martialisch gefordert wurden, kann jetzt keine Rede sein. Doch wenn Kohl dabei ist, hat der Finanzminister nicht viel zu sagen. Und der deutsche Kanzler bestand darauf, den Kompromiß, den er selbst lanciert hatte, auch abzusegnen. Um 15.30 gab Juncker die Einigung bekannt. Auch die anderen Regierungschefs hatten zugestimmt.

Das kam gerade noch rechtzeitig, um bissige Kommentare in den Nachrichten zu vermeiden. Denn eine halbe Stunde vorher waren ein paar hundert Meter weiter die neuen Euro-Banknoten vorgestellt worden. Ab 2002 würden sie in Umlauf sein, hatte der Chef der Europäischen Zentralbank, Alexander Lamfalussy, versprochen. Bei anhaltendem Streit um den Stabilitätspakt wären das Blütenträume geworden. „Die Deutschen und die Franzosen haben dasselbe Ziel, aber unterschiedliche Philosophien, wie man dort hinkommt“, meinte ein Mitarbeiter von Juncker. Alle möchten einen harten Euro. Aber während die Franzosen die Stabilität politisch absichern wollten, vertrauten die Deutschen auf automatische Regelungen. Jean-Claude Juncker verstehe beide: „Wir Luxemburger leben deutsche Disziplin und französischen Geist“, versichert der Gewährsmann.

Dabei hat es sicher nicht geschadet, daß Juncker mehr Ahnung von der Währungsunion hat als alle anderen Premiers und Kanzler zusammen. Er ist nicht nur seit zwei Jahren Regierungschef, sondern auch seit zwölf Jahren Finanzminister. Der Euro trägt seine Handschrift – Luxemburg hatte im ersten Halbjahr 1991 die EU-Ratspräsidentschaft. Juncker selbst hat den Währungsteil im Maastrichter Vertrag entworfen, der holländische Ratsvorsitz hatte nur noch die Feinarbeit zu erledigen. „Wenn es bei den Verhandlungen zwischen Kohl und Chirac eng wurde, hat er sie mit Details überrascht, die sie selbst nicht kannten“, erzählt einer aus der Luxemburger EU-Delegation. Auch Waigel dürfte Neues erfahren haben. Wie wenig Haushaltsdisziplin mit Währungsstabilität zu tun hat, erleben die Luxemburger täglich am eigenen Geld. Die Währungsgemeinschaft mit Belgien funktioniert seit 70 Jahren, obwohl die Regierung in Brüssel den höchsten Schuldenberg Europas hat. Vielleicht blieb Juncker deshalb so gelassen bei den französischen Versuchen, den Stabilitätspakt ganz auszuhöhlen. Andererseits konnte ihn Waigel kaum verdächtigen, er wolle einen weichen Euro. Juncker ist der einzige Finanzminister, der alle Euro-Kriterien erfüllt. Es ist nicht das erste Mal, daß ein Luxemburger Premier zwischen den beiden großen Nachbarn schlichtete. Vor zehn Jahren war es Jacques Santer, der Paris und Bonn wieder zusammenbrachte. Damals ging es um den Binnenmarkt, Santer machte die Tür zu und drehte den Schlüssel um. Kohl war über diese und weitere Vermittlungen so dankbar, daß er später die Promotion Santers zum Präsidenten der Europäischen Kommission betrieb.

Auch sein Nachfolger hat bei Kohl schon mehr als einen Stein im Brett. „Wir mögen uns“, sagt Juncker. Das kann sich auszahlen. Die Milliarden, die Haushaltssünder künftig als Strafe zinslos hinterlegen müssen, werden nur zurückgezahlt, wenn das Budgetdefizit rasch abgebaut wird. Wer es danach bekommt, ist nicht geklärt. „Die Tugendhaften“, die sich an die Haushaltsdisziplin halten, so hofft Jean-Claude Juncker. Wie gesagt, nur Luxemburg erfüllt alle Maastricht-Kriterien.