Sie hat keine Chance mehr

■ Der Fall Süssmuth: Kohl sortiert seinen Kader

Niemand kontrolliert Spitzenpolitiker wie Rita Süssmuth, ob sie die Luftwaffen-Flugbereitschaft privat oder dienstlich nutzen. Es reicht, wenn sie ihre Flüge als beruflich deklarieren. Tatsächlich fehlt eine Instanz, die nicht nur zwischen beruflichem Gebrauch und privatem Mißbrauch unterscheidet, sondern auch zwischen Reisen im Job und solchen zu Parteiversammlungen. Das allerdings ist die einzige Konsequenz, die aus dem Fall Süssmuth zu ziehen wäre. Der Rest muß als wohlkalkulierte Kampagne begriffen werden.

Denn die rechtliche Grauzone erklärt keineswegs den Furor, den die Bundestagspräsidentin seit Sonntag gegen sich erleben muß. Sie hat nur getan, was die Richtlinien ihr nicht verbieten. In Wirklichkeit verbirgt sich hinter diesem Bild-Mobbing die sattsam bekannte Kohl-Machtmaschine – was in der auflagenstärksten Zeitung steht, wird mit Informationen aus dem Regierungsgehege gefüttert.

Weder fand sich der Kanzler bereit, noch zeigten sich seine Untergebenen gestern willig, für die beliebteste Politikerin der Bundesrepublik Ehrenerklärungen abzugeben. Statt dessen gab es nur matt-freundliche Bekundungen – die darauf hindeuten, daß Rita Süssmuth die längste Zeit das zweithöchste Amt im Staate bekleidet hat. Was sollen die Christdemokraten auch mit einer Frau, die den Kontakt mit jeder nationalen Phrase scheut?

Kohls Kader für die Zeit nach den nächsten Bundestagswahlen wird neu sortiert. Und Süssmuth soll offenbar keine Rolle mehr spielen. Die Politikerin mißbehagt der CSU und dem nationalkonservativen Milieu in der CDU schon lange: Eine Frau, die jede Vergewaltigung – auch in der Ehe – für strafbar erklären möchte, darf auf Applaus aus der CDU/CSU nicht hoffen.

Auch wenn die Politikerin sich noch im Amte halten kann, so bleibt ihre Aussage gültig: Auf die am Montag gestellte Frage, was sie gegen die mögliche Rufschädigung tun wolle, antwortete die Bundestagspräsidentin, sie habe doch bereits einen beschädigten Ruf. Recht hat sie. Selbst wenn sich herausstellt, daß sie stets ordentlich abgerechnet hat, bliebe der Eindruck haften, Berufliches und Privates vermischt zu haben: Die Heilige der Christdemokratie ist gestrauchelt. Und hat deshalb keine Chance mehr. Jan Feddersen

Tagesthema Seite 3